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schen Familie war. Er lebte in London still von einer bescheidenen Pension, mit
religiösen und philosophischen Studien beschäftigt. Seine Briefe zeugen von hoher
Bildung und edler Gesinnung. Die Bernstorffs verehrten ihn als einen Patriarchen,
dessen Rat sie in den ernstesten Familienangelegenheiten erbaten. Johann Hartwig
Ernst gab Andreas Peter für seinen Londoner Aufenthalt nicht, wie für die anderen
Länder und Orte, eine besondere Instruktion. Er verwies ihn an Schrader; das war
besser als jede Instruktion. "Er vereint mit menschlicher Klugheit diejenige, welche von
oben stammt", sagte Johann Hartwig Ernst von ihm. Andreas Peter wurde Schraders
täglicher Gast. Er hörte ihm stundenlang zu, wenn er ihm Erläuterungen über englische
Verhältnisse gab oder ihm Erinnerungen an Andreas Gottlieb d.Ä. und über die
Geschichte seines Geschlechts erzählte.
Andreas Peter faßte ein herzliches Vertrauen zu dem greisen Schrader, und dieser half
ihm über Schwierigkeiten in seinem Verhältnis zum weiblichen Geschlecht, die ihn
damals bedrückten, hinweg. Die strengen moralischen Grundsätze der Familie waren
damals in Gefahr, von Andreas Peter verlassen zu werden. Die in Paris herrschenden
laxen Auffassungen und das schlechte Beispiel der englischen Junker waren eine
schwere Anfechtung für ihn, in der er sich Schrader offenbarte, und dieser verstand es,
mit solcher Kraft ihm zu helfen, daß Andreas Peter die Krise überwand. Als er viele
Jahre später seinen Kindern von diesem Wendepunkt in seinem Leben erzählte, sagte
er ihnen: "Zum Lobe Gottes sei es gesagt: ich erkannte keine Frauensperson bis an
meinen Heiratstag“. Mit Schrader war Andreas Peter hierdurch natürlich besonders
verbunden, und er teilte ihm auch seine Gedanken über seine Zukunft und seine
Besorgnisse mit, ob er auch die Erwartungen des Vaters und des Onkels werde
erfüllen können So lernte Schrader ihn wie kein anderer kennen, und seine Briefe an
Johann Hartwig Ernst zeigen Andreas Peter in dieser Übergangszeit vom Jüngling zum
reifen Mann deutlicher, als Bilder es könnten, die wir aus dieser Zeit nicht besitzen.
Wir erfahren von Schrader, daß Andreas Peter ein schöngewachsener breitschulteriger
Jüngling war mit unmittelbar gewinnenden Zügen. Die Nase war kräftig, der Mund
ausdrucksvoll und die Augen waren klar und blau. Sein Benehmen zeigte eine gute
gleichmäßige Lebensart, er war immer zur Unterhaltung aufgelegt, konnte frei und
lebhaft von seinen Reisen erzählen, aber auch ernste Gespräche als aufmerksamer
Beobachter und scharfer Kritiker führen. Man spürte, wie tief er nachdachte, und wie
energisch er versuchte, sich von allem eine Meinung zu bilden. "Er hat mein Herz
bezaubert", schreibt Schrader, "denn er besitzt die größten Eigenschaften des
Herzens". "Er ist einzig in seiner Art, wenn nicht unter einer Million, so doch unter
hundert- oder zweihunderttausend.“ Er war niemals gleichgültig, sondern immer
entschieden und feurig in seinen Sympathien und seinen Abneigungen, ja, seine
Lebhaftigkeit konnte dann und wann zu weit gehen. Schließlich erwähnt Schrader die
große Freundlichkeit in Andreas Peters Charakter, die alle Herzen gewönne.
Es wurde Andreas Peter schwer, sich von Schrader zu trennen; aber sein Reiseleben
mußte einmal ein Ende nehmen, und Johann Hartwig Ernst wartete schon sehnlich auf
ihn. Auch Andreas Peter selber sehnte sich danach, dem Onkel eine Stütze zu werden.