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der Goltz suchte. Zunächst war vor allem Wilhelm v. Humboldt im Gespräch. Dann
aber schlug der alte Feldmarschall Blücher Christian Günther vor und setzte seinen
Vorschlag beim Staatskanzler Hardenberg und dem König durch. Blücher selber wurde
vom König beauftragt, mit Christian Günther darüber zu sprechen. Dieser lehnte das
Ansinnen zunächst entschieden ab. Als Hardenberg aber nicht nachließ, erklärte er
sich bereit, die Sache dem dänischen König zu unterbreiten und dessen Entscheidung
einzuholen. Dieser sprach sich in sehr freundlicher, aber entschiedener Weise unter
„unveränderter Bewahrung seiner gnädigsten Gesinnung" für die Annahme des
preußischen Anerbietens durch Christian Günther aus. Daraufhin nahm dieser das
Angebot an; aber es wurde ihm schwer. Denn er hing mit großer Liebe an seinem
dänischen König Friedrich Vl. und seiner dänischen Heimat.
Am 16. September 1818 ernannte Friedrich WilheIm III. ihn zum Staats- und
Kabinettsminister mit Sitz und Stimme im Staatsrat und im Ministerium und zum Chef
des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten. So wurde der frühere dänische
Außenminister vom Fleck weg vom dänischen Gesandten am preußischen Königshof
zum preußischen Außenminister, ein Vorgang, der heute kaum mehr vorstellbar ist und
zeigt, daß die europäische Oberschicht damals noch eine über die Grenzen der
Nationen hinausgreifende Gemeinschaft war.
Mit dem Staatskanzler Hardenberg (1750-1820) war Christian Günther schon aus
früher Jugend befreundet, sie standen sich durch gemeinsame Herkunft aus großen
Häusern schon durch Geburt und Bildung nahe und wirkten einträchtig zur Lösung der
ihnen gestellten diplomatischen Aufgaben, als erstes auf dem damaligen Kongreß zu
Aachen, dem ersten nach dem Wiener Kongreß. Der König bezeigte Christian Günther
seine höchste Achtung und Gnade und verlieh ihm den Schwarzen Adlerorden,
während der Kaiser von Rußland ihn mit dem höchsten russischen Orden, dem des
Heiligen Andreas, auszeichnete.
Christian Günthers 14-jähriges Wirken als preußischer Außenminister fiel in die
politisch schwierigen Jahre nach den Freiheitskriegen, dem Wiener Kongreß und der
Restauration in Frankreich. Dem Kongreß in Aachen folgten ebensolche in Karlsbad,
Wien, Troppau, Laibach und Verona. Es waren die Jahre, in denen die Ideen der
französischen Revolution im Bürgertum Europas fortwirkten. Der
Nationalstaatsgedanke bewegte die Völker, deren geistige Führer sich gegen den
dynastischen Absolutismus erhoben und demokratische Verfassungen forderten. Karl
August von Weimar hatte als erster deutscher Fürst 1816 seinem Land eine
Verfassung gegeben. 1817 hatte das Wartburgfest der deutsehen Burschenschaft
stattgefunden, die unter den Farben schwarz-rot-gold die Einheit Deutschlands
forderte. Und 1818, im Jahre der Amtsübernahme Christian Günthers in Berlin,
erhielten Bayern und Baden Verfassungen. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819
waren gegen die politische und geistige Freiheit in Deutschland gerichtet, und 1820
widerrief Wien das Versprechen einer Verfassung für Osterreich und beseitigte die
Verfassungen in Neapel und Piemont. Die Griechen erhoben sich 1821 unter
Alexander Ypsilanti gegen die Türkenherrschaft und erreichten mit Hilfe
westeuropäischer Freischaren sowie der englischen und französischen Flotte
(Seeschlacht von Navarra 1827) durch die "Londoner