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bezogen. Albrecht erreichte es durch seinen freundschaftlichen Ton und große Offenheit sowie
dadurch, daß er stets bestens infor-miert war, daß nach und nach immer mehr Presseleute zu
ihm kamen und sich bei ihm ihre Informationen holten. So floß in die für die öffentliche Meinung
in England so wichtige Presse mehr und mehr Verständnis für Deutschland ein. Allmählich
wurden auch im gesellschaftlichen Leben zu Diners, Bällen und offiziellen Veran-staltungen die
Deutschen wieder eingeladen. Diese Gelegenheiten nutzte Albrecht voll aus und schuf sich
Beziehungen zur City und zu den Parteien. Dadurch war er immer gut informiert. Denn er hatte
in hohem Maße die Gabe, seine Gesprächs-partner zum Sprechen zu bringen und aus dem
Gesagten das Wichtige und Richtige herauszuhören.
Neben dem immer größer werdenden Bekanntenkreis wuchs aber auch ein kleiner Kreis
wirklicher Freunde, Männer wie Frauen, deren manche ihn auch in Stinten-burg besuchten.
Dort lud er nach englischer Sitte sorgfältig ausgewählte Gäste zu "house parties“ ein, wo sich
Deutsche und Engländer in zwangloser Geselligkeit trafen. Tagsüber beschäftigten sich die
Gäste nach Belieben, man traf sich zu den Mahlzeiten, und den Höhepunkt bildete der Abend
mit guten Gesprächen, die Albrecht über alles liebte. Im Stintenburger Gästebuch finden sich
die Namen von deutschen und englischen Politikern und Diplomaten, Publizisten, Journalisten,
Wissenschaftlern, Künstlern, Bankiers, Gutsbesitzern, Jagdfreunden und Ver-wandten. Sie alle
brachte er unter seinem gastlichen Dach zusammen, und seine Schwester Louisette mußte
ihrem Junggesellen-Bruder das Haus führen.
Natürlich pflegte Albrecht in London auch seine Beziehungen zu Oxford. Er stellte zu seiner
Freude fest, daß dort ein alter Rhodes-Schüler ein willkommener Gast war. Bald konnte dort
auch der eine oder andere Deutsche an einer Klubdebatte teilnehmen, ohne eisigem
Schweigen zu begegnen. Und ganz allmählich gelang es ihm auch, dahin zu wirken, daß im
Jahre 1930 die deutsche Rhodes-Scholarship wieder eingeführt wurde.
Es war ungewöhnlich im diplomatischen Dienst, daß Albrecht volle 10 Jahre in London blieb.
Aber das Auswärtige Amt hatte erkannt, daß Albrecht nirgends bessere Dienste leisten konnte
als dort. Bis 1930 war er Gehilfe des Botschafters Sthamer, der bis zu seinem 73.Lebensjahr
im Dienst bleiben mußte, weil die Engländer, vor allem König Georg V., ihn nicht wegließen. Mit
ihm war Albrecht eng verbunden, während er dem Nachfolger Frhrn v. Neurath weder
menschlich noch politisch näher kam. Als dieser 1932 London wieder verließ, war Albrecht
einige Monate Geschäftsträger der Botschaft, bis Ende 1932 Herr v. Hoesch Botschafter wurde,
mit dem Albrecht gut befreundet war. Aber ihre Zusammenarbeit dauerte nur noch wenige
Monate.
Inzwischen hatte Albrecht mit Sorge die zunehmende Krise der Weimarer Republik verfolgt. Als
überzeugter Demokrat lehnte er den Nationalsozialismus radikal ab. Ihm, dem hochkultivierten
Aristokraten, der in den Kreisen der geistigen Elite Deutschlands und Englands lebte, mußte
die Subalternität der Nationalsozialisten von Grund auf zuwider sein. Außerdem sah er die
Gefahren der aus dem Führer-prinzip sich ergebenden Diktatur mit ihren unabsehbaren Folgen.
Vergeblich wies er die Engländer auf die Bedrohung des Friedens hin, und es enttäuschte ihn
bitter, daß die Engländer diese Gefahr nicht sahen.