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Im Herbst 1902 wurde Johann Heinrich zum Botschaftsrat in London ernannt, genau 40 Jahre,
nachdem er dort in der Botschaft geboren war. Damit hatte er nun den ersten wirklich wichtigen
Posten erreicht. Hier blieb er 3 1/2 Jahre. Gemeinsam mit dem Botschafter Grafen
Wolff-Metternich bemühte er sich um eine Verstän-digung zwischen Deutschland und England.
Beide hatten aber einen sehr schweren Stand gegenüber den Kreisen der Marine in
Deutschland. Johann Hein-rich war für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, worin er guten Erfolg
hatte. Sein Ver-hältnis zum Botschafter war ein ähnliches wie 20 Jahre später das Verhältnis
seines Neffen Albrecht zum Botschafter Sthamer. Für den schweigsamen und zu-rückgezogen
lebenden Metternich, der aus seiner Abneigung gegen öffentliche Auftritte und
gesellschaftliche Veranstaltungen keinen Hehl machte, war der lebhafte und redegewandte
Johann Heinrich Bernstorff eine ausgezeichnete Ergänzung.
Der Reichskanzler Bülow, der überhaupt ein Gönner Johann Heinrichs war, war von dessen
Leistungen in London so befriedigt, daß er ihm im Frühjahr 1906 die erste selbständige
Stellung gab, indem er ihn als Generalkonsul nach Kairo versetzte. Er hatte dort eine ruhige
Zeit. Ägypten gehörte damals noch zum türkischen Reich, und mit den Türken, die damals
schon den deutschen Kaiser als Protektor ihrer Interessen ansahen, gab es keine
Schwierigkeiten. Mit den argwöhnischen Eng-ländern gelang es ihm, einen modus vivendi zu
finden. Im übrigen fühlte sich die Familie im angenehmen Klima Nordafrikas wohl und genoß
außerdem die den Missionschefs vorbehaltenen ausgedehnten Sommerurlaube. Johann
Heinrich be-zeichnet den Aufenthalt in Kairo als den angenehmsten Posten seines Lebens. In
jener Zeit erwarb er auch das Haus in Starnberg, das ihm lange Jahre als privater Wohnsitz
diente.
2 1/2 Jahre blieb Johann Heinrich in Kairo. Dann erfolgte seine Ernennung zum Kaiserlichen
Botschafter in Washington. Damit begann die entscheidende Epoche seines Lebens, die ihn zu
einem der bekanntesten und bedeutendsten Diplomaten des letzten Jahrzehnts des deutschen
Kaiserreiches machte. Diese Ernennung im November 1908 war die letzte Gunst, die Fürst
Bülow Johann Heinrich erweisen konnte, und kam für ihn völlig überraschend. Er war damals
zwar schon 46 Jahre alt, trotzdem war es für damalige Verhältnisse eine sehr frühe Berufung
auf einen so hohen Posten, und der Kaiser, bei dem Johann Heinrich damals sehr in Gnaden
stand, sagte ihm, als er, um sich abzumelden, zur Frühstückstafel geladen war, er sei zum
Botschafter viel zu jung, er habe ja noch kein graues Haar. In der Tat war ja auch der Sprung
vom Generalkonsul in Kairo zum Botschafter in Washington gewaltig.
Es kann nicht Aufgabe dieser familiengeschichtlichen Darstellung sein, Johann Heinrichs
Wirken in Washington darzustellen. Es ist bekannt und gehört der großen politischen
Geschichte Deutschlands an, daß Johann Heinrich alles in seinen Kräften Stehende getan hat,
um die Vereinigten Staaten aus dem Kriege heraus-zuhalten, und daß er immer wieder vor der
Einführung des unbeschränkten U-Boot- Krieges gewarnt hat, weil das nach seiner
Überzeugung, die sich als richtig erwies, unweigerlich zum kriegsentscheidenden Eintritt der
USA in den Krieg führen mußte.