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Zwei Jahre hatte die Tour d'Europe gedauert, und es läßt sich denken, wie
bestimmende Eindrücke für das Leben und welche Erweiterung ihres Horizontes die
Brüder dabei erfahren hatten. Welcher junge Mann unseres Jahrhunderts kann sich
trotz der engen und schnellen Verkehrsverbindungen eine solche umfassende Bildung
und Weltkenntnis verschaffen, wie es auf solcher Reise geschah!
Jetzt trennten sich die Wege Andreas Gottliebs und seines Bruders. Während Johann
Hartwig Ernst sich anschickte, seinen Lebensweg im Staatsdienst anzutreten, war für
Andreas Gottlieb die Übernahme der wichtigsten Familienbesitzungen vorgezeichnet.
Ihm sollten die beiden großen Fideikornmisse Gartow und Dreilützow zufallen,
während Johann Hartwig Ernst der Erbe von Wedendorf und Wotersen war. Gartow
war seit nunmehr annähernd 40 Jahren Hauptsitz und Mittelpunkt der Familie und blieb
auch für Johann Hartwig Ernst die geliebte Heimat, nachdem er seinen eigenen Weg
in die Welt ging und eigene Besitzungen als seine Lebensgrundlage hatte. In Gartow
hütete Andreas Gottlieb die vom Großvater begründete Tradition der Familie und gab
sie an seinem Lebensende seinerseits weiter an seine Söhne, insbesondere an
Joachim Bechtold, den Erben Gartows.
Kaum 5/4 Jahre nach Rückkehr von der großen Bildungsreise holte sich Andreas
Gottlieb, der jetzt zunächst dem Vater bis zu dessen Tode bei der Verwaltung der
Güter half, die Freundin aus der Tübinger Zeit, eben die Schwester der Freifrau v.
Forstner, Dorothea Wilhelmine v. Weitersheirn, als seine Lebensgefährtin nach Gartow
heim. Am 7. April 1733 fand in Straßburg die Hochzeit des erst 24jährigen Andreas
Gottlieb mit der um 9 Jahre älteren, am 15.3.1699 geborenen Dorothea Wilhelmine
statt. Ihr Vater war der 1729 verstorbene Kaiserliche Feldmarschall-Leutnant und
Gouverneur von Freiburg/Br. Bechtold v. Weitersheim. Von daher ist also der bis heute
in der Familie häufige Vorname Bechtold zu uns gekommen. Es war naheliegend, daß
Andreas Gottlieb so früh nach seiner Rückkehr nach Gartow heiratete; denn am 30.
Dezember 1732 war seine Mutter Charlotte Sophie gestorben, und Gartow bedurfte
also dringend einer jungen Hausfrau. Dorothea Wilhelmine, die am 21. April mit ihrem
Ehemann ihren Einzug in Gartow hielt, übernahm die Führung des Gartower
Haushalts, in den auch der verwitwete Vater einbezogen wurde. Daneben wohnte die
Familie nach wie vor zeitweise in Hannover. In den kommenden Jahren füllte sich das
Gartower Haus sehr schnell mit Kindern. Am 21.4.1734 wurde als ältestes Kind
Joachim Bechtold geboren. Am 28.8.1735 folgte ihm Andreas Peter, am 13.10.1736
die Tochter Charlotte Claudine Luise und schließlich am 2.10.1739 noch Christine
Elisabeth Marianne. Die erstere ist schon am 13.12.1742, nur 6 Jahre alt, am "Friesel"
und hitzigen Brustfieber in Hannover gestorben. Christine Elisabeth ist auch nur 14
Jahre alt geworden und ist am 7.4.1754 gestorben. Die ältere nennt Andreas Gottlieb
bei der Eintragung ihres Todes in das Gartower Buch seine "schöne, kluge,
hoffnungsvolle und nur leider zu frühreife Tochter", das vollkommene Ebenbild seiner
Frau. Von der jüngeren Tochter schreibt er, daß sie am 12. Tage einer Brustkrankheit
gestorben sei; ihr früher Tod sei "wegen ihrer außerordentlichen Verwachsenheit und
schwacher Brust" vorauszusehen gewesen.