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beiden Söhne aus diesem Meinungsunterschied hätten erwachsen können. Andreas
Gottlieb liebte es, sich als einen einfachen Landjunker „aus dem Bauernlande“
darzustellen; oft war das ein Spaß, um sich in Gegensatz zu seinem Bruder zu stellen;
aber er fühlte sich auch wirklich nur dann ganz wohl, wenn er mit den schweren
Stiefeln auf seiner eigenen Erde herumstampfen konnte und nicht im feinsten Putz bei
Hofe zu erscheinen brauchte. Am liebsten wohnte er auf dem Lande; bis Ende der
1740er Jahre bezog er in der Regel eine Winterwohnung in Hannover, aber zuletzt nur
um der Erziehung seiner Kinder willen, und als diese von Haus fort waren, wohnte er
das ganze Jahr hindurch auf Gartow und kam nur in Geschäften nach der Stadt. Wenn
möglich, vermied er es, an den Hof zu kommen."
Der Haupteindruck, den wir von Andreas Gottlieb gewinnen, "ist Arbeit und
Regelmäßigkeit; das Jahr verlief stets innerhalb derselben Schranken des Wirkens.
Andreas Gottlieb mußte viel abwesend sein. Zweimal jährlich unternahm er eine
vierzehntägige Inspektionsreise auf den Gütern, in der Regel im Frühling im Mai-Juni
und im Herbst im September-Oktober; oft noch einmal mitten im Sommer, besonders
seitdem Johann Hartwig Ernst seinen Wohnsitz in Kopenhagen genommen hatte und
öfters im Juli oder August zum Besuch nach Gartow kam und dabei Wotersen oder
Stintenburg in Augenschein nehmen sollte. Außerdem hielten ihn der Landtag in Celle
oder Mecklenburg, Verhandlungen in Hannover, viele Geschäfte in Hamburg oder
Rostock vielfach von der Heimat fern. Während des Erbfolgekrieges und des
Siebenjährigen Krieges dauerten solche Abwesenheiten oft monatelang; 1757 mußte
er sich von August bis Dezember in Celle oder Lüneburg aufhalten, um dem
ständischen Provinzialdirektor bei der Verteilung der Kriegskontributionen beizustehen,
welche von den feindlichen französischen Heeren ausgeschrieben wurden."
"Zu Hause vergingen die Tage in einförmiger Arbeit, vom frühen Morgen - im Sommer
oft schon von Sonnenaufgang - an, wo er sich an seinen Schreibtisch setzte, bis zum
Abend, wo er frühzeitig zu Bett ging, müde von dem Umherstreifen auf den Gütern
oder von mühsamen Abrechnungen und Briefschreibereien. Wenige Zerstreuungen, in
der Regel nur Jagd und Lektüre, unterbrachen dies eintönige Arbeitsleben. Andreas
Gottlieb hatte, vollblütig und korpulent, wie er war, Bewegung nötig, und am
glücklichsten war er immer, wenn er im Sattel saß und auf seinem schweren, in der
Regel isabellafarbenen Hengst auf den Feldern oder in den Wäldern
herumgaloppierte, um Vieh und Leute zu inspizieren. Möglichst vermied er es, sich in
einer schweren Karosse von seinem Viergespann auf den 'abscheulichen Wegen'
fortschleppen zu lassen, wenn er in Geschäften nach Lenzen, Lüchow oder Lüneburg
mußte.
Das Leben in freier Natur, auf der Jagd war ihm lieb, obgleich er stets die Warnung
des Großvaters vor dem wilden Jagdleben, der Lieblingssünde des Adels, im
Gedächtnis behielt; er war stolz auf seine gute Wildschweinjagd und froh über jedes
Geweih, das er mit nach Hause brachte. Aber es gab halbe Jahre, in denen er sich
nicht ein einziges Mal Zeit zur Jagd gönnte, sondern an seinen Schreibtisch gefesselt
dasaß, wo er vor Ankunft der Post 'im Vorrat' an seinen Bruder schrieb oder
angekommene Briefe eilig beantwortete. Sein Anteil an der von den Bernstorffs
hinterlassenen gewaltigen Briefsammlung ist groß, und wir dürfen ihm Glauben
schenken, wenn er erzählt, daß er von 5 - 2 Uhr an der Arbeit gesessen habe, um eine
einzige Postsendung zu bewältigen, oder daß er im Verlauf von