Seite 123
vierzehn Tagen mehr als 300 Briefe geschrieben habe. Wie seinem Bruder wurde es
auch ihm schwer, sich fremder Hilfe zu bedienen, nur das, was von ihnen selbst getan
war, fanden sie wohlgetan, und nach Keyßlers Tode hatte er keinen Sekretär, bis sein
ältester Sohn zwanzig Jahre später - sich für die Dauer in der Heimat niederließ." "Aber
das Stillesitzen griff den lebenskräftigen Mann an, er wurde zu korpulent, und aus dem
baumstarken wurde ein schwacher Mann; 'die goldene Ader' und Steinschmerzen
begleiteten bei ihm die Gicht, die erbliche Krankheit seines Hauses."
"Lektüre war neben der Jagd Andreas Gottliebs beste Zerstreuung. Er verfolgte mit
Interesse die Literatur, die ihm Freunde aus Hannover und Celle, Schrader aus
England oder der Bruder aus dem Ausland sandte. Sein Geschmack richtete sich auf
das praktische; er las am liebsten landwirtschaftliche, ökonomische und politische
Broschüren, selten Romane und nur bei ganz besonderen Veranlassungen Gedichte
und Schauspiele. Seine Gemahlin übte starken Einfluß auf seinen Geschmack."
"Die Ruhe, welche auf Gartow lag, paßte zu Andreas Gottliebs Natur; aber wenn die
Stille so tief wurde, daß der starke Mann seine Stimme dämpfte und leise auftrat,
sobald er seine eigene Stube verließ, so war die Ursache dazu meist seine Gemahlin,
die eine noch größere Stille um sich verbreitete."
Andreas Gottliebs Frau, Dorothea Wilhelmine Weitersheim, gehört zu den Frauen, die
in unserer Familie eine besonders starke und nachhaltige Wirkung ausgeübt haben.
Daß sie bei ihrer Heirat schon 33, Andreas Gottlieb dagegen erst 24 Jahre als war,
mag ihr von vornherein ein gewisses geistiges Übergewicht in der Ehe gegeben haben.
Aber die Ehe war außerordentlich glücklich, und Andreas Gottlieb war in inniger Liebe
mit seiner Frau verbunden.
Dorothea Wilhelmine war von tiefer und strenger Religiosität erfüllt. Schon in Tübingen
hatte sie dadurch starken Eindruck auf Andreas Gottlieb und Johann Hartwig Ernst
gemacht. Mit den Jahren wurde ihr Glaube noch betonter und durchdrang ganz das
tägliche Leben. Dorothea Wilhelmine führte dem Gartower Familienkreis die stärksten
religiösen Impulse zu. Ihr kam dabei eine Empfänglichkeit der Bernstorffschen Familie
entgegen, die aus den ehrwürdigen und frommen Traditionen der Familie,
insbesondere Andreas Gottliebs d.Ä. stammte. Es war die Zeit August Hermann
Frankes und des Pietismus in Halle, und in Gartow interessierte man sich für diese
Bewegung. Neue religiöse Schriften wurden eifrig gelesen und führten zu einer
lebhaften Besprechung im Familienkreis. Andreas Peter sagt einmal von seiner Mutter,
daß die Religion ihre Hauptbeschäftigung sei und daß sie "fast ununterbrochene
Betrachtungen über dieselbe" anstelle. Er sieht bei ihr "mehr Festigkeit der Seele als
weibliche Zärtlichkeit".
Dabei war sie von sehr zarter Gesundheit. In den ersten Jahren, als sie ihren vier
Kindern das Leben schenkte, war ihr Befinden zwar etwas besser, aber von Beginn der
vierziger Jahre an war sie ständig leidend. Von Jugend an litt sie unter Kopfschmerzen.
später kamen Leiden in Brust und Unterleib hinzu. "Sie war oft bettlägerig, die
Kopfschmerzen dauerten wochenlang und waren von Erbrechen und heftigen
Magenschmerzen begleitet.“ „Lange Zeit hindurch verließ sie ihre Zimmer nicht, und
monatelang sahen Mann und Kinder sie nicht bei Tische. Ihr Kranken-