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Österreich-England und Preußen-Frankreich nötig wurde. Noch im selben Jahr wurde
er auch Landrat und Schatzrat im Fürstentum Lüneburg, das seinen Sitz in Celle hatte.
In den letzten Jahren seines Lebens war auch davon die Rede, daß er
Provinzialdirektor des Fürstentums werden sollte, die höchste Stellung, die der Adel
der Landschaft zu verleihen hatte. Aber er wollte es nicht, und diese Sache scheint
dann nicht weiter verfolgt worden zu sein.
Andreas Gottlieb war durchaus politisch interessiert. Seinem Bruder schrieb er einmal,
daß nächst der Algebra die Politik seine starke Seite sei. Er hatte durch seine
Universitäts- und Reisejahre reichere Gelegenheit als seine Standesgenossen gehabt,
die Politik und inneren Verhältnisse der damals bedeutendsten Länder
kennenzulernen. Er verfolgte die politischen Begebenheiten, las Zeitungen,
Flugschriften und was sonst politische Informationen zu vermitteln geeignet war, und
stand vor allem mit seinem Bruder in Gedankenaustausch über die politischen
Geschehnisse.
In seinen politischen Anschauungen war er streng konservativ und hielt an den aus
den Zeiten des Großvaters bestehenden Sympathieen und Antipathieen fest. Er war
„hannoverisch und englisch gesinnt; er sah im Kaiserhause Deutschlands feste Burg,
Frankreich war der Erbfeind und Preußen entweder sein Helfershelfer oder eine stete
Gefahr für die kleineren deutschen Staaten und für Deutschlands Freiheit." Diesen
politischen Anschauungen lag aber kein eigentliches deutsches Nationalgefühl
zugrunde. "Seine Bildung hatte, obgleich er sich mit Haut und Haar als Norddeutscher
fühlte - doch französischen Zuschnitt." "Für ihn war Frankreich das Zentrum der
Zivilisation, so wenig er auch mit dem unchristlichen und unmoralischen Charakter der
französischen Kultur zufrieden war." In seinen Briefen benutzte er vorwiegend die
französische Sprache, es sei denn, daß es sich um Fragen der Landwirtschaft
handelte oder er in starker Erregung war und dann ein mit plattdeutschen Wendungen
vermischtes deutsch schrieb.
Immerhin zog er bei der Auswahl der Inschrift über der Tür des Herrenhauses in
Dreilützow einen deutschen Vers einem französischen vor, er gab auch zu, daß die
französische Sprache auf deutschem Boden eine unberechtigte Herrschaft ausübte.
Und er hatte auch Interesse für die sich entwickelnde deutsche Literatur. Die
Verbindung der Familie zu Klopstock wurde 1750 in Gartow angeknüpft, und Klopstock
war in den folgenden Jahren wiederholt in Gartow, wo sein "Messias" und seine Oden
mit Begeisterung gelesen wurden, in der Hauptsache allerdings wegen des religiösen
Gehaltes.
Andreas Gottlieb beurteilte die Verwaltung der Staaten und die Aufgaben der Fürsten
vom Standpunkt des privaten Grundherren her. "Er stellte dieselben Ansprüche an
einen Fürsten wie an einen Gutsbesitzer“. "Er verlangte Verantwortungsgefühl und
Redlichkeit von dem, welcher hochgestellt" war. Seine Auffassung war ebenso streng
und ernst wie die seines Bruders. Es erbitterte und empörte ihn jedesmal, wenn er
einen Edelmann Ausschweifungen begehen sah. Menschliche und christliche
Gesichtspunkte vereinigten sich bei ihm wie bei dem Bruder; immer schlossen sie die
Beurteilung eines Menschen damit ab, daß sie konstatierten, ob er rechtschaffen, rein
von Sitten und christlich sei,