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und Andreas Gottliebs Kinder hörten ihn immer darüber klagen, wie wenig brave Leute
und gute Christen in dieser sündigen Welt und besonders unter seinen adligen
Standesgenossen seien." Er vergaß nie die Worte des Großvaters, daß er "ein
Edelmann sei, der von rechtschaffenen Leuten herstamme, welche gut und mit Ehre
im Lande gelebt hätten", wonach er sich in seinem Leben und Auftreten zu richten
habe.
"Er war durch und durch Aristokrat; als Christ erkannte er zwar an, daß alle vor Gott
gleich seien, und in seiner schlichten Weise verkehrte er sowohl mit dem Pastor und
anderen bürgerlichen Beamten wie mit seinen Bauern in großer Natürlichkeit und
Freundlichkeit, aber in seinen Ansichten über soziale Gesetzgebung und
Verfassungsverhältnisse trat das nicht hervor."
"Er sah es als selbstverständlich an, daß der Adel der privilegierte und herrschende
Stand sei, und konnte sich gar nicht denken, daß es in Hannover und Mecklenburg, wo
die Adelsherrschaft in Blüte stand, anders sein könnte, und charakteristisch ist die
erste Bedingung, welche er seinen Söhnen stellte, als sie sich eine Braut suchen
sollten: "bonne famille, id est point roturiere und neugebacken". - "Seine öffentliche
Tätigkeit bestand in Übereinstimmung mit dieser Lebensansicht in der Wahrung adliger
Standesinteressen."
"Andreas Gottliebs regelmäßige Arbeitslast war groß. Zweimal jährlich mußte er
mehrere Wochen hindurch dem Landtag in Celle beiwohnen; wenn er dann im
Anschluß daran auch noch den mecklenburgischen Landtag besuchen mußte, dauerte
es lange, ehe er Gartow wiedersah. Oft verursachten Ausschußsitzungen mehrtägige
Reisen; in Kriegszeiten, wenn er als Kriegsrat die Ausschreibungen der Kontributionen
leiten und den französischen Truppen gegenüber das Land repräsentieren mußte,
bekam er halbe Jahre lang keine Ruhe."
Andreas Gottlieb erwarb sich großes Ansehen unter den Ständen sowohl in Hannover
wie in Mecklenburg. Er war beteiligt an dem letzten Teil des Kampfes zwischen den
mecklenburgischen Ständen und ihren Herzögen, in deren erstem Teil der Großvater
sich so tatkräftig und erfolgreich für die Stände eingesetzt hatte. Und es war nicht
zuletzt seiner Vermittlung zu danken, daß dieser Kampf endlich 1755 in dem
Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich seinen Abschluß fand, einem Grundgesetz, das
die ständische Regierungsform in Mecklenburg regelte und bis 1918 gegolten hat.
"Er war selbstverständlich ein eifriger Vorkämpfer für die adligen Privilegien, um die
sich der Kampf drehte, aber als man einem Vergleich nahe kam, war es seine
Hauptaufgabe, denselben herbeizuführen. Innerhalb des Adels selbst hatten sich
scharfe Gegensätze ausgebildet; ein Teil war durch Gunst und Gaben dafür gewonnen
worden, des Herzogs Sache zu verfechten; ihnen gegenüber hatte Andreas Gottlieb
nichts als Verachtung." "Auf der anderen Seite fand sich eine unversöhnliche Partei,
die durch heftige Worte und gehässige Angriffe jeglichen Vergleich zu verhindern
suchte. Aber in der Mitte stand eine wachsende Mehrheit, die einen Streit zu beenden
wünschte, von dem man, wenn er fortgesetzt würde und es wieder zur Einmischung
anderer Mächte käme, mit einem Seitenblick auf die