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Über die beiden Tübinger Studienjahre und die anschließende ebenfalls zweijährige
Bildungsreise durch Europa ist bei der Darstellung Andreas Gottliebs d.J. im vorigen
Kapitel das Wesentliche gesagt worden. In den beiden Tübinger Jahren lernte der
junge Johann Hartwig Ernst schon, Latein und auch Französisch besser und richtiger
zu schreiben als die meisten seiner Standesgenossen. Daneben lernte er Englisch und
auf der Reise durch Italien auch italienisch.
Hervorzuheben ist aus der Tübinger Zeit auch hier die Beziehung zum Haus Forstner
und die mit Frau v. Forstners Schwester Wilhelmine Dorothea v. Weitersheim
angeknüpfte Verbindung, die auch für Johann Hartwig Ernsts Leben von großer
Bedeutung wurde. Die starke religiöse Ausstrahlung. die von ihr ausging, wirkte auch
auf ihn, der in seinem Elternhaus in den von seinem Großvater geprägten fest
gefügten christlichen Anschauungen aufgewachsen war. Als die Brüder Tübingen
verließen, sagte er, daß sie die einzige in Tübingen sei, die er vermissen werde. Und
nach des Bruders Heirat mit ihr im Jahre 1733 begann ein ununterbrochener
Briefwechsel mit der Schwägerin, die ihn gegenüber anderweitigen Einflüssen in ihrer
eigenen sie erfüllenden Glaubenswelt fest-zuhalten suchte.
In Tübingen wurde auf dem collegium illustre der Grund für Johann Hartwig Ernsts
Kenntnisse in Geschichte und Staatswissenschaften gelegt, Kenntnisse, die in der
anschließenden Bildungsreise an zahlreichen Höfen Europas durch praktische
Anschauung bestätigt, vertieft und erweitert wurden. Darüber hinaus vermittelte ihm die
Reise weit gründlichere Kenntnisse von Land und Leuten, als junge Leute sie heute
auf Reisen zu erwerben pflegen. Denn damals gab es keine Reiseführer, die auf das
Wesentliche hinwiesen. Die jungen Leute von Adel mußten unter der Anleitung ihres
Hofmeisters selber im Umgang mit den Staatsmännern, Gelehrten und sonstigen
bedeutenden Persönlichkeiten und Familien, zu denen sie Zutritt hatten, das
Wesentliche erforschen. Das so erworbene Wissen war natürlich fundierter als flüchtig
angelesene Kenntnisse. Johann Hartwig Ernst und Andreas Gottlieb besahen sich in
Italien mit Interesse auch die dort vorhandenen großen Kunstschätze; vor allem aber
trugen sie statistische, wirtschaftliche und politische Angaben über Städte,
Landschaften und Fürstentümer zusammen und notierten sie in ihrem Tagebuch.
Daneben sammelten sie schon damals, beraten von Keyßler, Kupferstiche, Portraits,
Münzen und Medaillen.
Von der großen Reise waren für Johann Hartwig Ernst wohl die 4 Monate in Paris der
eindrucksvollste und ihn am stärksten anziehende Teil. Die geistvolle und lebhafte
Geselligkeit und der elegante Lebensstil in der französischen Hauptstadt sagten ihm
schon damals besonders zu. Obwohl die Brüder nicht unmittelbaren Zugang zum Hof
Ludwigs XV. hatten und sie auch in die eigentliche französische vornehme
Gesellschaft wenig eintraten, hatten sie doch einen ausgedehnten und lebhaften
geselligen Verkehr mit den Häusern der ausländischen Gesandtschaften, besonders
Dänemarks, Hannover/Englands, Hollands und auch des Wiener Kaiserhofs, wo sie
viele Bekanntschaften schlossen, die Johann Hartwig Ernst auch über die Pariser Zeit
hinaus pflegte.
Sie wurden daneben durch Keyßler in alles eingeführt, was Paris an Künstlerischem
und Lehrreichem zu bieten hatte, besuchten die Oper und das Theater, hörten
Konzerte, sahen Stiergefechte