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und wurden auch mit Schriftstellern bekannt. Johann Hartwig Ernst war
außerordentlich für Theater und Musik interessiert. Wenn die Brüder bei sich selber
kleine Geselligkeiten gaben, so mußten die sonst üblichen Spieltische den
Musikinstrumenten weichen, und sie gaben einmal sogar ein richtiges Konzert vor
einem Kreis von Freunden, zu dem sie erste Künstler des damaligen Pariser
Musiklebens gewonnen hatten. Natürlich empfand Johann Hartwig Ernst auch den
Leichtsinn und die Unmoral, die in der Pariser Gesellschaft herrschten. Er war
schließlich erst 19 Jahre alt und gestand Keyßler einmal, "daß er das Leben in Paris so
anziehend finde, daß er bezweifle, stark genug zu sein, um seinen ebenso süßen wie
sündigen Verlockungen zu wiederstehen". So wird Wilhelmine Dorotheas Sorge um
sein Seelenheil durchaus verständlich.
Den Abschluß der Bildungsreise bildeten 2 Monate Aufenthalt in London. von wo die
Brüder über Holland im November 1731 nach Hause zurückkehrten. Aage Friis
schreibt über die Bedeutung der Studien- und Reisejahre, die Johann Hartwig Ernst mit
15-19 Jahren ableistete: Mit offenen Augen und Ohren nahm er alle Eindrücke in sich
auf; von Hause aus waren seine Interessen auf das bunte Menschenleben und die
wechselnden Staats- und Gesellschaftsformen gerichtet, welche ihm die Reise
vorführte.
Man reiste vor 200 Jahren nicht mit Eisenbahngeschwindigkeit; die erhaltenen
Eindrücke hatten ganz anders Zeit, sich einzuprägen als jetzt. Mit einem so gereiften
und kenntnisreichen Mentor wie Keyßler hatte man Gelegenheit genug, in Ruhe alles
zu besprechen, was man sah und hörte; der fruchtbare Untergrund von Verständnis
und Kenntnissen in des Jünglings Innerem wuchs Schicht auf Schicht und verdichtete
sich zu einem festen Erdboden, reich an Samenkörnern mit vielen
Entwicklungsmöglichkeiten. Ein Zwanzigjähriger wie Bernstorff war damals weit mehr
entwickelt, als ein Jüngling heutzutage in dem Alter zu sein pflegt. Er war nicht zu der
Durchschnittskultur erzogen, wo das Ziel herabgedrückt wird nach den Fähigkeiten der
Menge. So ein junger Edelmann wurde wie ein kostbares Einzelexemplar behandelt,
alles für ihn abgepaßt und zurechtgelegt, um ihn soweit wie möglich zu führen."
Johann Hartwig Ernst "hatte vielseitige Interessen, seine Arbeitskraft und sein Wille
entsprachen seiner jugendlichen Gesundheit und Kraft. Er war bereit, einen Platz im
Leben auszufüllen."
An sich hätte er sich damit begnügen können, das Leben eines begüterten
Grundherren zu führen. Denn ihm waren von dem großväterlichen Grundbesitz
Wedendorf und Wotersen zugefallen, ein Grundbesitz also, der ausreichte, das Leben
eines großen und angesehenen Landherren zu führen. Danach stand aber Johann
Harwig Ernsts Sinn nicht. Und der Großvater hatte auch entsprechend seinen
Aufzeichnungen im Familienstatut sich vorgestellt, daß Andreas Gottlieb zu Hause
bleiben und die Güter verwalten sollte, Johann Hartwig Ernst aber hinausziehen und
sich im Staatsdienst eine Stellung schaffen sollte. Johann Hartwig Ernst erzählte noch
als alter Mann, wie der Großvater sich bemüht hatte, seinen früh angeregten Verstand
durch alle möglichen Fragen zu entwickeln. Als nun die Entscheidung bevorstand,
schrieb Johann Hartwig Ernst: "Ich habe so wenig Geschmack für das Land und seine
Freuden, daß ich diesen Lebensberuf nicht ergreifen mag, obgleich ich mir allen
Anzeichen