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Dänemark auf einem Fürstentag zu vertreten, der sich dort in der Nähe Frankfurts im
Hinblick auf die bevorstehende Kaiserwahl versammelte. Bis dahin war davon die
Rede gewesen, daß Johann Hartwig Ernst als Nachfolger Berckentins Gesandter am
Kaiserhof in Wien werden solle, aber die ihm jetzt übertragene Aufgabe, die ihn in den
Brennpunkt der europäischen Politik führte, lockte ihn natürlich außerordentlich. Einen
gerade jetzt ihm angebotenen Ministerposten in Hessen-Kassel schlug er ohne Zögern
aus. Er wurde, als die Kurfürsten sich zur Kaiserwahl in der Reichsstadt Frankfurt
versammelten, auch als Gesandter des dänischen Königs beim Wahlkollegium
akkreditiert. Nach erfolgter Kaiserwahl wurde er dann im April 1742 zum dänischen
Gesandten bei Kaiser Karl VII. ernannt, dem bisherigen Kurfürsten von Bayern, der auf
Betreiben Frankreichs und Preußens zum Kaiser gewählt worden war, aber nur drei
Jahre lang regieren sollte.
Bei den Verhandlungen zur Kaiserwahl verfolgte Johann Hartwig Ernst den Grundsatz,
daß die kleineren protestantischen Fürsten gegenüber dem dominierenden Einfluß der
großen Mächte zusammen halten müßten. Er entwickelte eine lebhafte und offenbar
kluge vermittelnde Tätigkeit. Denn Freunde bemerkten mit Verwunderung, daß die
Mitglieder des Fürstentages in auffälliger Weise seinen Rat suchten.
Den beherrschenden Einfluß in Frankfurt übte Frankreichs Gesandter, der Marschall
Belle-Isle, aus. Er war damals Frankreichs bedeutendster Mann. Er war ein fähiger
Feldherr und ein kluger Diplomat, und er erweckte in Frankfurt zusätzlich Eindruck
durch eine Prachtentfaltung, die keinem deutschen Fürsten möglich war. Fünfzig
französische Edelleute hohen Ranges gehörten zu seinem Gefolge, und 300 Diener
mit zahllosen Pferden und Gepäck begleiteten sie. Johann Hartwig Ernst war einer der
ersten, der nach Belle-Isles Ankunft Zutritt zu ihm erhielt, und es entwickelte sich bald
ein vertrauter Verkehr und freundschaftlicher Briefwechsel mit dem um mehr als 20
Jahre älteren Marschall, der bis zu dessen Tode im Jahre 1761 anhielt.
Mehr noch aber schloß Johann Hartwig Ernst mit der Gemahlin des Marschalls, der
Gräfin, späteren Herzogin de Belle-Isle, oder wie sie meistens genannt wird, der
„Marschallin“ Belle-Isle, Freundschaft. Das Ehepaar Belle-Isle führte ein großes Haus,
das bei Johann Hartwig Ernsts Sinn für gepflegte elegante Geselligkeit große
Anziehungskraft auf ihn ausübte. Und wie das Belle-Islesche Haus den Mittelpunkt der
Geselligkeit in jenen Monaten in Frankfurt bildete, so gehörte wiederum Johann
Hartwig Ernst zum nächsten Umgangskreis des Hauses und insbesondere der
Marschallin, deren vertrautester Freund er bald wurde. Wir erfahren, daß die
Marschallin sich der persönlichsten Angelegenheiten des Junggesellen Johann Hartwig
Ernst annahm; sie kannte sowohl seine Familien- wie seine Geldverhältnisse
genauestens, sie schalt ihn wegen seiner Verschwendung, half ihm bei der
Vorbereitung seiner Gesellschaften und beriet ihn beim Einkauf von Möbeln und sogar
von Anzügen. Sie nannte sich "seinen ersten Kammerherrn“. Beide sahen sich täglich,
sowohl bei größeren Festlichkeiten, wie auch bei intimeren Zusammenkünften im
Belle-lsleschen Haus oder auch in Johann Hartwig Ernsts Wohnung. Als die
Marschallin im Frühiahr 1742 nach Paris zurückkehrte, begann ein lebhafter
Briefwechsel zwischen ihnen;