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Wildbret und Früchte oder diente Madame als Reisemarschall oder Sekretarius, ohne
doch bei aller tiefen Verbundenheit je die Schranken ihrer Ehe und Ehre, ihrer Liebe
für ihren älteren Gemahl zu mißachten."
Über Johann Hartwig Ernsts Auftreten in Paris schreibt Rößler: "Schon beim ersten
Pariser Besuch hatte der deutsche Landadlige seine altmodische Adelskleidung mit
kostbaren Gewändern aus feiner Seide, mit goldenen und silbernen Tressen und
Knöpfen und eleganten Schuhen vertauscht. Er wurde ein Aristokrat verfeinerter
Lebenskultur, mit Sinn für Repräsentation und Geselligkeit, obwohl er auch jetzt noch
das Kartenspiel nur als gesellschaftliche Pflicht auffaßte und ein geistvolles Gespräch
vorzog". Er "wußte, daß sein Aufwand ebenso ihm selber wie seinem Dienst notwendig
war; sein gefühlvolles Herz erwarb dabei Freundschaften, die von Dauer waren,
während ihm sein reger Geist Verbindungen von höchster Wichtigkeit gewann."
"Die Duchesse de Belle-Isle eröffnete Bernstorff den Zugang in die Kreise des
Hochadels, welche gleich ihr in fester katholischer Gläubigkeit das hemmungslose
Liebesleben des Königs Ludwigs XV. und seiner Höflinge ablehnten. Aber auch bei
Hof, auch in den Salons hochadliger Liebeskünstlerinnen, adliger und bürgerlicher
Damen, wurde Bernstorff bald hochgeschätzt wegen seiner ausgesuchten Höflichkeit
und natürlichen Beredsamkeit, mit der er die Probleme der Politik wie der Literatur
mühelos erfaßte und darstellte."
Johann Hartwig Ernst lernte in der Gesellschaft auch die schöne und jugendliche
Jeanne Antoinette Poisson, verheiratete Madame Norman d'Etiolle, kennen, die
spätere Marquise de Pompadour und eigentliche Begründerin des Rokoko, und
gewann ein vertrauensvolles und freundschaftliches Verhältnis zu ihr. Er erlebte aus
nächster Nähe mit, wie sie zur Maitresse Ludwigs XV. und zur Marquise de
Pompadour aufstieg. Er war viel in ihrem Hause, stand in freundschaftlichem
Briefwechsel mit ihr und besuchte sie oft tagelang auf dem einen oder anderen ihrer
luxuriösen Schlösser. Sie war eine geistvolle Frau und verstand es, die Großen der
Literatur und Kunst um sich zu versammeln. Bei ihr traf er Voltaire, und bei ihr hörte er
1744 Montesquieu seinen "esprit des lois“ vorlesen, in dem erstmals die Lehre von der
Gewaltenteilung (Legislative, Executive, Justiz) aufgestellt wurde. Bei Madame d'Etiolle
begegnete Johann Hartwig Ernst auch den verschiedenen geistigen und religiösen
Richtungen des damaligen Frankreich, Christen und Atheisten und allen Abstufungen
dazwischen.
Johann Hartwig Ernst berichtete über seine Beobachtungen und Eindrücke von der
Pariser politischen und gesellschaftlichen Bühne genau und mit einem erstaunlichen
Fleiß nach Kopenhagen. Er entfaltete einen ungeheuren Schriftwechsel. Es erfüllt uns
mit Staunen, wenn wir erfahren, daß er im Jahre 1744 nicht weniger als 75 Relationen
nach Kopenhagen schickte, außerdem 72 Privatbriefe an den dänischen
Außenminister Schulin, an Madame de Belle-Isle 190 und an andere Personen 567
Briefe. Die Summe der in diesem Jahr abgeschickten Briefe und Depeschen, alle
eigenhändig geschrieben, betrug 904. Später in Kopenhagen wurde seine
Korrespondenz noch umfänglicher. Dabei lag seinen Niederschriften sorgfältige Arbeit
zugrunde. Johann Hartwig Ernst