Seite 154
hat ihr alle erdenklichen Rücksichten erwiesen und ihr das Leben so behaglich
gestaltet, wie es möglich war. Charitas Emilie ihrerseits schätzte seinen gütigen und
liebenswürdigen Charakter und hat ihm wohl echte Liebe entgegengebracht. Während
einer Trennung schrieb sie ihm einmal: "Ich sehe nicht, daß mir etwas anderes fehlt als
Du". "Sei meiner ganzen Liebe versichert, ich liebe Dich von ganzem Herzen und
umarme Dich tausendmal.“ Der Ehe blieben Kinder versagt, nachdem mehrmals die
Hoffnung darauf bestanden hatte, die aber jedes Mal enttäuscht wurde. Charitas Emilie
dachte sehr wirtschaftlich und hatte wenig Lust, la grande dame zu spielen, eine neben
dem verschwenderischen Ehemann sehr wichtige Eigenschaft. Johann Hartwig Ernst
und sie lebten gut zusammen, aber ihre Prägung erhielten Haus und Familie durch
Johann Hartwig Ernst. Es ist nicht viel über Charitas Emilie überliefert, sie bleibt mehr
im Hintergrund.
Nach den beiden Bildern, die von ihr erhalten sind, hatte sie ein zartes und
angenehmes, keineswegs häßliches Gesicht. Man muß sich daher wundern, daß sie
verschiedentlich als häßlich bezeichnet wird. Ein Verwandter, der eine Zeitlang im
Hause lebte, behauptete, sie sei klein und häßlich. Wenn die Gemälde nicht
ungewöhnlich schmeichelhaft sind, war dieses Urteil sicherlich falsch. Im Zeitpunkt der
Heirat galt sie als lebhaft und munter. Sie hatte ein sanftes und umgängliches Gemüt
und war offen und ungezwungen im Umgang mit Menschen. Sie teilte Jonann Hartwig
Ernsts Sinn für Mildtätigkeit und war auch keineswegs unbegabt oder ohne geistige
Interessen. Im Gegenteil hat sie viel gelesen, vor allem französische Literatur; "sie
schrieb auch selbst gut und war glücklich über den geistig lebendigen Kreis, den ihr
Mann um sie versammelte" (Aage Friis II 267).
Andreas Peter und Charitas Emilie, nur 2 Jahre im Alter unterschieden, fanden kein
rechtes Verhältnis zu einander. Andreas Peter schreibt einmal von ihr, sie habe "eine
schwache und zarte Gesundheit und eine Seele, die lebhaft oder ungleich brennt".
Nach Johann Hartwig Ernsts Tod sagt er, daß sie nach dem Verlust ihrer natürlichen
Stütze und ihres Vorbildes eine sehr unglückliche Frau sei, die "mit einem
romantischen und hypochondrischen Geist sich selbst überlassen und von Langeweile
zu Langeweile lebend überall das Glück sucht, ohne es zu finden." Bei tausend guten
Eigenschaften sei sie so voller hysterischer Launen und Sonderheiten, daß es ganz
unmöglich sei, sich da zurechtzufinden. Vielleicht war dieses Urteil zu hart, wir wissen
es nicht.
Ihre literarischen Interessen zeigen sich in interessanter Weise in ihrem Verhältnis zu
dem Hamburger Verleger Johann Joachim Christoph Bode, der, wie schon erwähnt, im
Jahre 1771 Klopstocks an Johann Hartwig Ernst gewidmete Oden herausgegeben
hatte und den sie in ihrem Hamburger Haus kennen gelernt hatte, in dem sie nach
Johann Hartwig Ernsts Tode eine Zeitlang lebte. Als Bode 1776 den "Dorfprediger von
Wakefield" von Oliver Goldsmith in deutscher Übersetzung herausgab, widmete er ihr
dieses Buch und schrieb in seiner Widmung, daß er bei der Überlegung, wie er sie in
seiner Widmung kennzeichnen solle, in ihrem Bücherschrank aufgeschlagen liegend
Lavaters physiognomische Fragmente gefunden habe, wo folgende Zeilen mit
Lebhaftigkeit von ihr unterstrichen worden seien: "Weisheit ohne Güte ist Torheit.