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Mittelpunkt des deutschen Buchhandels entwickelt, seine Büchermessen wurden aus
allen Teilen Deutschlands und aus dem Ausland besucht. Das literarische
Geschäftsleben hatte nicht nur große Vermögen in die Stadt gebracht, sondern auch
einen geistigen Einfluß auf die Bürgerschaft ausgeübt. Abgesehen von der Altstadt, die
noch ihr Gepräge gewahrt hatte, hatte der Reichtum der Leipziger Kaufleute eine
Menge barocker Bauwerke entstehen lassen. Es gab Kunst- und Kuriositäten-
Sammlungen, Schlösser und Privathäuser mit zierlichen Gärten, öffentliche
Parkanlagen und repräsentative Plätze. Im Gegensatz zum leichtsinnigen und rohen
Hof Dresdens herrschten in Leipzig feine Sitten, und geistig-literarische Interessen.
Joachim Bechtold und Andreas Peter sollten in der kosmopolitisch gebildeten Stadt, in
der ein solideres geistiges Leben herrschte, als in irgend einer anderen deutschen
Stadt, geschliffene Formen annehmen. Wenige Jahre zuvor hatte Lessing
geschrieben: "Ich komme nach Leipzig an einen Ort, wo man die ganze Welt im
Kleinen sehen kann." Und Goethe sagte später im Faust: "Mein Leipzig lob ich mir; es
ist ein Klein-Paris und bildet seine Leute."
Allerdings ging das geistige Leben nicht so sehr von der Universität aus, die unter der
Aufsicht einer strengen absolutistischen Regierung ein mehr beharrendes Element
bildete, als von dem Kreise der Dichter, Kritiker und Schauspieler, die hier lebten und
wirkten. Es war die Zeit, als Gottsched die deutsche Dichtung auf eine höhere Stufe
gehoben hatte. Und nach ihm waren Klopstock und Lessing herangewachsen, die
wenige Jahre bevor die Brüder Bernstorff nach Leipzig kamen dort studiert hatten.
Obwohl die Universität in strenger Orthodoxie verharrte und daher wenig neue
Gedanken bot, herrschte in Leipzig doch ein zu unruhiges und vielseitiges geistiges
Leben, als daß die Professoren sich dem hätten entziehen können. So wurden sie
stärker als anderswo aus ihren Studierstuben herausgeholt und bekamen etwas von
der Politur des Weltmannes, was sich auch auf ihren Umgang mit den Studenten
auswirkte.
Was aber in jenen Jahren die Eltern studierender Söhne besonders bewog, diese nach
Leipzig zu geben, war die Persönlichkeit Christian Fürchtegott Gellerts, der für die
damalige Zeit das Ideal eines Erziehers war. Gellert repräsentierte die harmonische
Verbindung eines abgeschliffenen gemäßigten Pietismus und einer bibelstarken, in
Wort und Tat bewiesenen Frömmigkeit mit der verstandesmäßigen Humanität der
Aufklärungszeit. Er hat darin auch den stärksten Einfluß auf Joachim Bechtold und
Andreas Peter ausgeübt, als diese am 2. Mai 1752 mit Leisching in Leipzig ankamen
und am 17. Mai als Mitglieder der sächsischen Nation immatrikuliert wurden. Sie waren
wie andere junge Adelige ständige Gäste in Gellerts Haus, und hörten regelmäßig
seine Vorlesungen. Die moralische Einwirkung Gellerts ging in dieselbe Richtung wie
die des Elternhauses; in Gellerts Vorlesungen lernte Andreas Peter, seine Gottesfurcht
auf alle Verhältnisse des Lebens anzuwenden. Es war praktische Moral in einem etwas
milderen Geist, als er in Gartow herrschte.
Von dem Kreis, in den die Bernstorffs in Leipzig eintraten, ging damals eine neue
Strömung des deutschen Geisteslebens aus, getragen vor allem durch Klopstock, der
zwar zu dieser Zeit bereits durch Johann Hartwig Ernst nach Kopenhagen berufen war,