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Für die Reise von Straßburg nach Bern war ihm der Postwagen zu langsam. Er kaufte
sich deshalb selber einen Wagen und mietete Pferde und Kutscher. Aber der Wagen
warf unterwegs um - damals kein seltenes Vorkommnis - und ging entzwei: der
Kutscher brach sich den Arm. So hatte Andreas Peter einen großen Schaden an seiner
Reisekasse und mußte die Weiterreise wieder mit dem billigeren Postwagen machen.
Am 19. Oktober 1754 kam er in Genf an.
Genf war damals eine Freie Stadt, wenn auch von französischem Charakter. In ihr
herrschten die strengen Ordnungen des Calvinismus, und sie war reich geworden
durch die Tüchtigkeit ihrer Bürger, zu denen zahlreiche Einwanderer gehörten, die um
ihres protestantischen Glaubens willen in Frankreich verfolgt worden waren. Die
Regierungsform war eine aristokratisch-republikanische. Die Bürgerschaft stand geistig
sowohl an Intelligenz wie an aufgeklärter Bildung höher als die irgend einer anderen
französischen Stadt. Schon bevor Andreas Gottlieb und Johann Hartwig Ernst 1729
unter Keyslers Leitung dort waren, wurde Genf als die Stadt betrachtet, wo die adelige
protestantische Jugend am besten die französische Sprache und französische Sitten
kennen lernen konnte, ohne den Versuchungen von Paris ausgesetzt zu sein. Johann
Hartwig Ernst hatte noch persönliche Beziehungen nach Genf aufrecht erhalten,
insbesondere zu dem Professor Necker, dem Vater des späteren berühmten französi-
schen Finanzministers. Es lag daher nahe, Andreas Peter nach Genf zu schicken, und
Johann Hartwig Ernst gab ihm Empfehlungs-schreiben an Genfer Persönlichkeiten mit.
Andreas Peters Ausbildung sollte nach Johann Hartwig Ernsts Vorstellung vielseitig
sein und nach den höchsten Zielen streben. Sie sollte seinen Charakter und seine
Talente ausbilden, ihn aber vor allem in den moralischen und religiösen Traditionen
des Geschlechts erhalten. Das Genfer Jahr sollte dazu dienen, die Gefahren zu wittern
und ihnen zu begegnen, die von den antichristlichen Geistesströmungen ausgingen,
gegen die derjenige sich nicht abschließen kann, der sich zum Staatsdienst ausbilden
will. In Genf würde Andreas Peter weniger als anderswo der Gefahr ausgesetzt sein,
die strahlenden und gefeierten Größen des Jahrhunderts zu treffen, die über
Gottesfurcht und Frömmigkeit lachten und keinen Hehl aus ihrem Unglauben machten.
In Genf würden ihre "jämmerlichen Argumente" sich nicht so glänzend wie anderswo
ausnehmen. Das war nach Johann Hartwig Ernsts Überzeugung die Hauptsache, "in
Wirklichkeit das einzig Notwendige und das einzige, worin ein Irrtum verhängnisvoll
wird." In der Atmosphäre dieser Stadt entwickelte Andreas Peter großen Fleiß. "Ich
habe meine Lebensart völlig geändert", schrieb er kurz nach seiner Ankunft in Genf.
"Ich verwundere mich selbst über meinen Fleiß. Der Morgen von 7 bis 11 Uhr ist völlig
dem Studium gewidmet, und ich finde darin ein Vergnügen, so mir zwar nicht
unbekannt war, so ich aber das letzte halbe Jahr in Göttingen fast unterdrückt hatte."
Rückschauend sagte er später, in Genf habe sich seine ganze Denkart verwandelt, der
Umgang mit vortrefflichen Menschen habe ihn zu einem besseren Menschen gemacht,
er habe durch fleißiges Studium und geselligen Umgang ein sehr glückliches Jahr dort
verlebt.
Johann Hartwig Ernst hatte ihn vor dem Anschluß an gleichaltrige Kameraden in einer
Stadt gewarnt, die wie Genf von jungen