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Edelleuten aller europäischen Länder wimmelte. "Such lieber die Älteren auf", riet er
ihm, "die in der Stadt zu Hause sind oder dort wohnen und bei denen Du diese sanfte
und tugendhafte Heiterkeit finden wirst, die ich Dir für Dein ganzes Leben wünsche als
eines der größten Glücksgüter, die der Mensch in dieser Welt finden kann." Zu diesen
"Älteren" fand Andreas Peter den gewünschten Zutritt durch Empfehlungsschreiben
Johann Hartwig Ernsts, besonders zum Hause des Professors der Jurisprudenz
Necker, dessen Sohn Vorlesungen über Experimentalphysik hielt, die Andreas Peter
gleichfalls besuchte. Auch zu anderen Häusern erhielt Andreas Peter Zutritt, und er
berichtet nach Hause, daß fast kein Tag vergehe, ohne daß er in die eine oder andere
„compagnie agréable“ in den besten Häusern der Stadt geladen sei. Hier übte er sich
im guten Ton und im Umgang mit Menschen. Johann Hartwig Ernst gab ihm dafür
Regeln, die kennzeichnend für den Geist sind, von dem die Bernstorffs seit Andreas
Gottlieb d.Ä. geprägt waren.
"Du darfst nicht" schreibt er "zum Bewunderer oder Nachahmer des Toren, des
Witzboldes oder des Gecken werden; ich habe eine sehr hohe Meinung von Deinem
Geist und Herzen, und meine Liebe zu Dir gefällt sich darin, zu glauben, daß Du in den
Fußstapfen Deiner Väter einherwandeln wirst. Sie haben nicht versucht, sich den
Gesetzen der Vernunft und Tugend zu entziehen; sie haben sich nicht bemüht, durch
Prahlerei zu glänzen, oder versucht zu scheinen, was sie nicht waren; sie haben es nie
darauf angelegt, das Publikum zu täuschen oder fremde Sitten und Laster
nachzuahmen. Anstand in allen Dingen ist notwendig, und die Heiterkeit ist zwar eine
köstliche Himmelsgabe, aber diese Heiterkeit soll sanft, bescheiden und stille sein: sie
soll nicht den Charakter der Unbesonnenheit, der Überhebung oder der Ausschweifung
tragen, und insbesondere soll sie niemand beleidigen. Vermeide Dein ganzes Leben
lang die gefährliche Kunst des Spötters und Verleumders; es gibt keine, welche die
Quelle größeren Unglückes wäre, und keine, die eine so unfehlbare Ursache des
Kummers und der Reue ist, wie sie. Suche zu gefallen, aber suche nicht zu glänzen;
der, welcher glänzen möchte, erreicht nicht sein Ziel, er ruft Eifersucht und
infolgedessen die Kritik derjenigen hervor, die ihm zuhören und über die er sich
erheben möchte, während der, welcher durch Vernunft, Sanftmut und Tugend zu
gefallen sucht, nicht nur sein Ziel erreicht, sondern auch das, welches der andere
verfehlte."
In Genf befand sich Andreas Peter wieder, wie in Leipzig, in einer rein bürgerlichen
Gesellschaft, aber sie zog ihn nicht so an, wie die in Leipzig. Man war in Genf enger,
die Gesellschaft teilte sich in "Sozietäten", und man verkehrte nur innerhalb derselben
miteinander. Das Interesse konzentrierte sich darauf, ob Neues in der Stadt vorgefallen
sei, und im übrigen pflegte man bei den Geselligkeiten, die von 5 - 8 Uhr Nachmittags
dauerten, vorzugsweise das Kartenspiel. So brachte der Verkehr in diesen Häusern
Andreas Peter nicht viel. Lehrreicher und wichtiger war für ihn der Umgang mit den
Professoren. Er fand, daß die Genfer Professoren höher ständen als die deutschen;
sie verbanden große Höflichkeit mit tiefer Gelehrsamkeit. Der Unterricht war in Genf
noch mehr als in Göttingen auf die Bedürfnisse angehender Staatsmänner
ausgerichtet. Die klare französische Form und der lebhafte geistreiche Vortrag waren
eindrucksvoller als die gewöhnlich trockene Gründlichkeit der deutschen Professoren.