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Es ist erstaunlich, aus Andreas Peters Berichten zu erfahren, wie sehr er seine Zeit
nutzte. Im Winter stand er regelmäßig um 6 Uhr, im Sommer gar um 4 Uhr auf, eine
Gewohnheit, die er von seinem Vater übernommen hatte und die er sein Leben lang
beibehielt. Die erste Morgenstunde war "den Pflichten gewidmet, welche Religion und
Dankbarkeit gegen Gott“ ihm auferlegte, wobei er für seine Morgenandacht das
griechische Neue Testament benutzte. Anschließend bereitete er sich für die
Vorlesungen vor, die um 9 Uhr begannen. Nach dem Mittagessen, das er im Hause
des Pastors Beaumont einnahm und das wegen der langen Tischreden des Pastors
lange dauerte, folgten kurze Besuche, Spaziergänge oder Tanzübungen. Von 4 - 8 Uhr
arbeitete er, wenn er nicht in Gesellschaft war, zu Hause. Nach dem Abendessen
vertiefte er sich um 9 Uhr wieder in die Bücher, die ihn bis über Mitternacht
wachhielten, wahrlich ein Tageslauf von ungeheurer Intensität, bei dem der Schlaf auf
das Äußerste beschränkt war. So verging ein Tag wie der andere, nur von wenigen
Ausflügen unterbrochen.
Es ist klar, daß bei dieser Arbeitsintensität Andreas Peters Kenntnisse sich schnell
erweiterten und wuchsen. Er beschäftigte sich neben politisch-philosophischen
Fächern mit praktischer Mathematik (bei Jallabert) und Experimentalphysik (bei Louis
Necker). In der Mathematik wurde ihm Anleitung zur Baukunst und zugleich eine
Einführung in die Geschichte der Architektur gegeben. Lange Zeit beschäftigte er sich
mit Montesquieus „Esprit des lois“, dem Werk, welches damals mehr als irgend ein
anderes die Gedanken aller politisch und philosophisch interessierten Menschen
beschäftigte und bis heute seine Bedeutung behalten hat und dessen erster Band in
Genf verlegt worden war. "Das ist eine Lektüre, die viel Verlockendes für mich hat",
schreibt Andreas Peter an den Onkel. "Sie ruft mir fast alle Gedanken des Naturrechts,
des Staatsrechts und der alten Geschichte ins Gedächtnis zurück. Ich hoffe, daß das
Studium seines Werkes mir von großem Nutzen sein wird." Aber nicht nur mit Montes-
quieus, sondern auch mit Voltaires, Rousseaus, Diderots, d'Alemberts, Lockes und
David Humes Schriften wurde er in Genf bekannt. Deismus und Atheismus und der
Geist der Encyklopädisten strömten jetzt auf den 19-jährigen Andreas Peter ein,
Strömungen, vor denen Johann Hartwig Ernst ihn gewarnt hatte, und die es tatsächlich
nicht vermochten, die feste Glaubensgrundlage, auf der Andreas Peter stand, zu
erschüttern. Daneben lernte Andreas Peter in Genf ausgiebig die französische schöne
Literatur kennen; er erwarb sich in dieser Zeit eine große Literaturkenntnis und eine
breite Grundlage für das, was er später auf seinen Reisen und in den ersten Jahren in
Kopenhagen hinzuzufügen Gelegenheit hatte.
Mit Interesse erlebte Andreas Peter in Genf das Erscheinen Voltaires, der damals
seinen Wohnsitz in einem Genfer Landhaus nahm. Ganz Genf sprach im Dezember
1754 von nichts anderem als von Voltaires Erscheinen. Auch Andreas Peter wünschte
sich, baldmöglichst die Bekanntschaft des Mannes zu machen, "dessen Charakter so
verschrien und dessen Genie so allgemein bewundert wird." Da Voltaire Johann
Hartwig Ernst von Paris her kannte, fand Andreas Peter leicht Zugang zu ihm und
wurde von ihm mit der Versicherung empfangen, daß er seinen Onkel nicht nur hoch
achte, sondern auch eine Freundschaft für ihn hege, "die jede