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Gehülfen, wie er seine Räthe und Untergebenen nannte, forderte er viel, aber das
Geleistete würdigte er dankbar und freute sich jedes Lobes, das er ertheilen konnte. Er
wußte zu befehlen, ließ aber zugleich die zartesten Rücksichten der Billigkeit u.
Schonung walten. In seinen eigenen schriftlichen Arbeiten leistete er alles selbst, was
er von andern verlangte; sie vereinigten die gründlichste Darlegung der Sache u. die
angemessenste Ausdrucksweise. Sein Tact für Schicklichkeit, Präcision u. Anmuth
jeder Art von Abfassung war bewunderungswürdig, u. die schwierigsten u.
bedenklichsten Aufsätze gingen klar u. gediegen aus seiner Redaction hervor." Der
Name Bernstorff, so schließt der Nekrolog, "schon so vielfältig ruhmvoll u. dankbar
genannt, ist durch ihn fortan auch in Preußen unvergeßlich."
Aus seinem frommen Elternhaus hatte auch er die tiefe Religiosität übernommen, wie
sie der Familie seit Generationen eigen war, und er fand immer aufs neue Trost und
Beruhigung im Festhalten am evangelischen Glauben.
Seine Witwe Elise setzte ihrem verstorbenen Gemahl ein unvergängliches Denkmal,
indem sie ihre Erinnerungen an den gemeinsamen Lebensweg aufzeichnete, die in 2
Bänden im Jahre 1896 von ihrer Enkelin Elise v. dem Bussche-Kessel veröffentlicht
worden sind. Elise war erst 48 Jahre alt, als sie Witwe wurde, und es lagen noch 32
Lebensjahre vor ihr. Sie zog zunächst mit ihrer kranken Tochter Marie in die kleine
Stadt Oederau im sächsischen Erzgebirge, wo Marie in ärztliche Behandlung gegeben
wurde. Hier entstanden Elises Aufzeichnungen. Die Jahre in Oederau waren nicht
leicht für sie; sie litt sehr unter der Entfernung von der bei Henriette Roeder lebenden
Mutter Charlotte, Christian Günthers Schwester, die erst 1841 starb, und von ihren in
Holstein verheirateten Verwandten. Als keine Hoffnung für eine Besserung des
Zustandes von Marie mehr bestand, siedelte sie 1841 nach Dresden über und bezog
dort ein kleines Haus in der Neustadt, Bautzenerstraße 40, das später der
Diakonissenanstalt gehörte. Unten wohnte Marie mit ihren Pflegerinnen, oben wohnte
Elise. "Aber die traurige luft- und lichtlose Krankenstube blieb der Mittelpunkt des
Hauses", schreibt Elise Bussche. 1852 folgte sie Marie, die in die Behandlung eines
damals bekannten Magnetiseurs kam, nach Nizza, wo sie die letzten 15 Jahre ihres
Lebens verbrachte.
Aus Elise Bussches Schlußwort zu den Aufzeichnungen ihrer Großmutter ist nicht
ersichtlich, wie der Lebensweg der kranken Marie weiterging, deren Krankheit
vermutlich Folge der nahen Blutsverwandtschaft der Eltern war. Wir lesen nur: "Marie
ward zwar unter dem Einfluß jener wunderbaren Heilkräfte dem Leben, nicht aber ihrer
Mutter wiedergegeben, und nur zeitweise war fortan ein Zusammenleben für beide
möglich". Marie, die erst 4 Jahre nach der Mutter, 1871, starb, wird fortan nicht mehr
erwähnt. Von Elise heißt es, daß dieser letzte Lebensabschnitt ihr neben manchen
schweren und einsamen Tagen ein reiches Maß von Segen, Freude und Erleichterung
gebracht habe. Ihre schwer erschütterte Gesundheit erholte sich. Ihre Wohnung lag in
unmittelbarer Nähe des Meeres am Quai du midi, von ihrem Balkon hatte sie den
freien Blick auf die Unendlichkeit des Meeres. Elise wurde ein eifriges Mitglied der
französischen evangelischen Gemeinde, mit deren Prediger Pilatte sie treue
Freundschaft verband.