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Als Joachim Bechtold 12 Jahre alt war, erhalten wir eine genauere Charakteristik über
ihn: "Der Ältere trägt seine Sachen bis auf den letzten Faden, anstatt daß der Jüngste,
ehe man es sich versiehet, daraus gewachsen ist. Er ist mager, kein großer Esser, ist
weichlich und sensibel, also daß ihm alles gleich wehe tut und über den geringsten
Schmerz so pift, als Andreas sich kaum merken lassen würde, wenn ihm Nase und
Ohren abgeschnitten würden; er hat nicht viel Kräfte, ist schnell schlapp und erhitzt,
hat oft des fluxions, besonders an den Augen, aber ich bin letztlich nicht besorgt um
ihn, glaube, daß viele Kinder so sind wie er, ich erinnere mich, selber sehr mager
gewesen zu sein, und die meisten Bernstorffs entwickeln sich spät. Vielleicht wird mit
der Pubertät der Körper kräftiger werden, und Gottes Güte wird für alles sorgen. Er
gleicht sehr unserem Großvater, er hat mehrere kleine Fehler, die ich mich erinnere,
als Kind auch gehabt zu haben, er bessert sich aber gleichwohl und wird alle Tage
besser. Er möchte gern den großen Jungen darstellen, und aus Angst, das nicht zu
schaffen, ist er schweigsam. Er hat kein hübsches Gesicht, er ist gut gewachsen, sieht
liebenswert aus, er ist geschickt, hat ausgezeichnete Augen, ein gutes Gedächtnis,
eine für sein Alter genügende Urteilskraft, sein Eifer für den Unterricht beruht nur auf
Gehorsam; dafür liebt er Acker- und Gartenbau, die Jagd und vor allem die Pferde. Er
ist sehr genau und ordentlich, seine Abrechnung stimmt immer; er verwahrt alle seine
Sachen selbst. Ich hatte Sorge, daß er geizig sei, aber er ist es nicht, er hat viel
Ehrgefühl, er möchte gern vorzugsweise gelobt und bestätigt werden, und ich hoffe,
daß mit vernünftigem Alter ein kleiner Hang zur Eitelkeit sich geben wird."
Einen Monat später schreibt Andreas Gottlieb im Anschluß an die bezüglich Andreas
Peter hervorgehobene Gesprächigkeit und manchmal naseweisen Fragen, daß
Joachim Bechtold leicht in das entgegengesetzte Extrem verfalle. "Er ist zu wenig
begierig, sich zu unterrichten, und lieber, als eine dumme Frage zu risquiren, schweigt
er still und tut den Mund nicht auf, vornehml. in Gesellschaft oder bey Fremden, denn
seines Gleichen gegenüber und bei Bekannten spricht er genug und frägt er auch
genug.“
Schließlich schreibt Andreas Gottlieb 4 Jahre später im Januar 1750, als Joachim
Bechtold also 15 Jahre alt war, an Johann Hartwig Ernst. "Der Älteste ist nicht gerade
schön; er ist weder sehr groß noch sehr klein für sein Alter; seine Gesundheit befestigt
sich, er ist sehr zurückhaltend und spricht allzuwenig, wenn er mit anderen zusammen
ist. Er kann etwas leisten, wenn er will, hat aber wenig Interessen für Studien und
Lektüre und zieht das Landleben, die Jagd, die Pferde und die Landwirtschaft vor. Er
ist ordentlich und sparsam ohne Geiz. ... Beide sind ganz verständig, im übrigen aber
diametral von einander verschieden. ... Ich meine, daß der Ältere meinem sel.
Großvater gleicht.“
Mit 18 Jahren, nachdem er bis dahin von den Hauslehrern Münter und später
Leisching unterrichtet worden war, bezog Joachim Bechtold mit seinem Bruder
Andreas Peter die Universität Leipzig, wo besonders Christian Fürchtegott Gellert,
damals führender Theologe und Moralpädagoge der dortigen Universität, bei dem die
Brüder viel im Hause waren, starken Einfluß auf sie ausübte.