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Damit endete Andreas Gottliebs Tätigkeit als Minister in Celle. Dieses hörte auf,
Residenz zu sein und auch Andreas Gottlieb selber, der vom Kurfürsten von Hannover
in dessen Dienste übernommen und dort 1709 nach Graf Platens Tod erster Minister
(Premierminister) wurde, verlegte seinen Wohnsitz nach Hannover. Für den 57-Jähri-
gen. der im Januar 1706 Witwer wurde und im September seinen fünften und letzten
Sohn Andreas August im Alter von 21 Jahren in Wedendorf an den Blattern verlor,
begann damit ein neuer Lebensabschnitt.
Sein fortbestehendes fürsorgliches Interesse für Celle bewies Andreas Gottlieb
dadurch, daß er das neue Oberappelationsgericht, zu dessen Errichtung Hannover
nach der Erhebung zum Kurfürstentum durch die Goldene Bulle verpflichtet war, als
Ersatz für die verlorene Residenz nach Celle legte. Er selber übte maßgebenden
Einfluß auf die Gestaltung der Gerichtsordnung für dieses höchste Gericht des Landes
aus, dessen erster Präsident der hochbefähigte und an der Schaffung der
Gerichtsordnung mit Andreas Gottlieb beteiligte Geheime Rat und Direktor der
Justizkanzlei in Celle, Weipart v. Fabricius (1640-1724) wurde, ein Bruder von Andrea
Gottliebs Schwiegermutter Anna Barbara v. Schütz geb. v. Fabricius. Die Celler
Gerichtsordnung bedeutete einen grundlegenden Wandel in den Justizverhältnissen
der damaligen Zeit des aufgeklärten Absolutismus. Während bis ins Ende des 18.
Jahrhunderts die Justiz der oberstrichterlichen Gewalt des Landesherrn unterstand,
eine Auffassung, die noch Friedrich d.Gr. von Preußen vertrat, schwebte dem von
Andreas Gottlieb und Fabricius beratenen und beeinflußten Kurfürsten Georg Ludwig
ein Gerichtshof von höchster Idealität, Würde und Unantastbarkeit vor, ein Ziel, das
nur durch die Unabhängigkeit des Gerichts und seiner Richter erreicht werden konnte.
Diese Grundkonzeption wurde in einer Weise verwirklicht, die uns heute, wenn man
die Verhältnisse der absolut regierten Obrigkeitsstaaten im damaligen Deutschland
berücksichtigt. mit Staunen und Ehrfurcht erfüllt. Sie stellt in der Geschichte der
richterlichen Unabhängigkeit ein Ereignis von historischer Bedeutung dar. Bei dem
feierlichen Gründungsakt am 14. Oktober 1711 übergab Andreas Gottlieb persönlich
im Namen und Auftrag des Kurfürsten dem Gerichtshof alle dem Landesherrn
zustehende Gerichtsgewalt. Und in seiner Anwesenheit wurden in der Großen
Hofgerichtsstube die Oberappellationsräte vereidigt. Im Vorspruch der Gerichtsordnung
unterwarf der Kurfürst auch sich selbst und alle Nachfolger der Rechtsprechung dieses
Gerichts "dergestalt, daß Sie (die Richter) auch bei solchen Sachen ... Ihres Ambtes
auff nichts als GOTT den Allmächtigen und eine ganz unparteyische Justiz sehen".
Der neue Lebensabschnitt Andreas Gottliebs in Hannover ist gekennzeichnet durch die
Bemühungen, dem Hause Braunschweig Lüneburg als Nachkommen der weiblichen
Linie der Stuarts die Krone Englands zu verschaffen. Diesem Ziel war schon die
Freundschaft mit Wilhelm von Oranien dienlich gewesen. Denn dieser hatte nach
seiner Thronbesteigung in London eine Parlamentsakte durchgesetzt, nach welcher
kein Katholik zur Thronfolge in England zugelassen sein sollte.
Dadurch waren die katholischen Kinder aus der 2. Ehe Jakobs II. und auch das in
weiblicher Linie von den Stuarts abstammende Haus Orléans von der Thronfolge
ausgeschlossen, und da weder Wilhelm von Oranien mit seiner Gemahlin Marie, noch
deren Schwester Anna in ihrer Ehe mit einem dänischen Prinzen Kinder hatten, war
nach dem Ableben Wilhelms (†1702) und seiner schon 1695 verstorbenen Gemahlin