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zunächst zwar deren Schwester Anna als Königin berufen, nach deren Tod aber die
Nachkommen von Jakobs II. Vaters-Schwester Elisabeth, die den Kurfürsten Friedrich
V. von der Pfalz, den "Winterkönig", geheiratet hatte und aus dieser Ehe neben
katholischen Kindern eine Tochter Sofie, Gemahlin des Kurfürsten Georg Ludwig von
Hannover, hatte, die als einzige Nachkommin des Hauses Stuart protestantisch war.
Diese, die ehrgeizige Kurfürstin Sofie, war daher nach dem Tod der Königin Anna zur
Thronfolge berufen. Sie hatte den Augenblick noch erleben und den englischen Thron
besteigen wollen. Aber sie starb am 18. Juni 1714, wenige Wochen vor Königin Anna,
die ihr im August in den Tod folgte. Ihr Sohn, Kurfürst Georg Ludwig von Hannover,
wurde daraufhin in London zum König von Großbritannien und Irland proklamiert. An
der Sicherstellung dieser Thron- und Erbfolge hatte Andreas Gottlieb entscheidend
mitgewirkt. Der neue König, der in dieser Eigenschaft den Namen Georg I. (Bild)
führte, reiste im Septem-ber 1714 von Hannover nach England, und Andreas Gottlieb
begleitete ihn. In Den Haag gingen sie zu Schiff und fuhren unter dem Geleit von 12
englischen und 8 holländischen Kriegsschiffen nach England hinüber. Am 1. Oktober
zogen sie in Lon-don ein, wobei laut Andreas Gottlieb "eine solche Menge von
Menschen zu sehen war, dergleichen sich nicht leicht in einiger Occasion in der Weldt
sonst finden wird, maaßen die Zahl derselben von 1 1/2 bis 2 Millionen leute geschätzt
wardt."
Unter den hannoverschen Ministern, die den König nach London begleiteten, war
Andreas Gottlieb der einflußreichste. Er hatte den Gipfel seiner Macht erreicht, und am
8. Oktober 1715 erhob Kaiser Karl Vl. ihn in den Freiherrenstand.
Es war für Andreas Gottlieb, der aus dem absolutistisch regierten Hannover kam, nicht
leicht, sich in die ganz anderen, vom Parlamentarismus bestimmten englischen
Verhältnisse hineinzufinden. Er schreibt: "Was vor An- und Überlauf, Importunitet und
Plage bei Einrichtung des Hofes und newen Regierung man bei einer so
unbeschreiblichen Menge der Leute, die sich zu allem capabel zu sein einbilden,
auszustehen gehabt, können die, so es nicht gesehen, schwerlich sich Vorstellen". Er
setzte sich aber zunächst durch, und in den ersten auf 1714 folgenden Jahren wurde.
Englands Weltpolitik nach den durch hannoversche Interessen bestimmten
Vorstellungen Andreas Gottliebs geleitet. Dieses System, das er ein Menschenalter
hindurch mit großer Gewandtheit und ausserordentlichem Anpassungsvermögen an
Zeit und Personen verfolgt hatte, bestand vor allem darin, durch Anschluß an
Österreich und loyale deutsche Reichspolitik, im Gegensatz zu Preußen und
Frankreich, Hannover sicherzustellen und seinen Einfluß zu erweitern.
Wenn auch der König keinem Hannoveraner je ein englisches Hof- oder Staatsamt
übertrug, hatte doch Andreas Gottlieb vor allen anderen sein Ohr. Der König war und
blieb deutsch, lernte nicht einmal die englische Sprache und schätzte nur deutsche
Ratgeber. So ging der beste Weg zum König auch für Engländer über Andreas
Gottlieb. Offiziell nahm er nur die Stelle eines hannoverschen Ministers ein und war
Leiter der "Deutschen Kanzlei“, die in London den in Hannover die Regierung
führenden Geheimen Rat repräsentierte. Aber nachdem er schon von vornherein
entscheidenden Einfluß bei der Besetzung aller bedeutenden Hof- und Staatsämter
gehabt hatte, drängte sich auch später sein Einfluß überall zwischen den König und die
englischen Minister. Gestützt auf seinen tüchtigen Kollegen Graf Kaspar Bothmer und
auf seinen Sekretär, den feinen diplomatischen Kopf Jean de Robethon, war er der
Leiter der mächtigen „hannoverschen Junta“ (Aage Friis).