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stetem Kanonendonner, Anlauf von preuß. Deserteurs und Marodeurs. Heute Abend erwarten
wir die retirirenden Preußen, und morgen die sie stets auf dem Fuße folgenden Franzosen -
Bernadotte gegen Blücher. Um diesem zu entgehen, wären wir gern geflüchtet, ich getraute es
mir aber nicht mehr, weil wir schon von Truppen umringt waren, als wir gestern erfuhren, daß
sie auf Meckl. Grunde wären. Sie haben tägl. und immer zum Nachtheil der Preuß. gefochten.
Diese desertiren Schaarenweise!!“.
Friedrichs Erwartung traf zu: in seinem Tagebuch notiert er: "Den 5. Nov.1806 kamen
morgends die Fr., plünderten den ganzen Tag - wir flüchteten Abends nach dem Pampil, wo wir
die Nacht blieben, den 6. tiefer in den Bruch, abends nach Hagenau (Hegenow), 7. nach
Weningen, 6. Hitzacker, 9. Lüneburg, 10. Altona, 12. Kiel, 25. Kopenhagen.“
Die Schwägerin-Nichte Elise, Christians wenige Wochen vorher angetraute Frau, schreibt über
diese Tage: "Täglich sah man Flüchtende bei uns (d.h. in Kiel) anlangen. Fritz und Nandine
eilten mit zwei Kindern bei uns durch und ließen uns einen Eindruck tiefen Mitgefühls zurück,
erregt durch die Erzählung der die Flucht begleitenden Umstände, welche uns mit wahrem
Schauder ergriffen. Es erschien uns als ein unmittelbares Wunder, daß wir die lieben
Menschen gesund in unseren Armen hielten, nachdem sie folgendes erlebt hatten: die durch
die Verfolgung Blüchers höchst aufgereizten Franzosen dringen mit Ungestüm in das
Dreylützower Haus ein, entreißen dem einstweiligen Hausherrn, unserem lieben Fritz, den
Weinkellerschlüssel; mehrere von ihnen stürmen die Treppe hinauf. Nandine hört das
Waffengeklirr schon nahe an ihrer Tür, sie läßt ihr Bureau (Schreibsekretär) mit all ihren
Pretiosen, welche die Franzosen auch rauben, offen stehen, ergreift die Kinder, eilt mit ihnen
auf den Boden, und als sie auch da die Tritte der sie Verfolgenden vernimmt, versteckt sie sich
unter einer Luke. In ihrer blinden Wuth durchsuchen die Franzosen den Boden, jedoch
vergebens. Die unglückliche Mutter wagte kaum zu athmen! Hätte eines der kleinen Kinder nur
den geringsten Laut von sich gegeben, so wären sie alle verloren gewesen. - Als endlich im
Hause wieder Stille eingetreten ist, schleicht Schwager Fritz sich hinauf und wagt es, mit seiner
Frau und den Kindern die Flucht durch eine Hinterthür zu versuchen. Sie entkommen glücklich,
von der schon einbrechenden Dunkelheit beschirmt, und finden in dem nächsten Walde unter
freiem Himmel die einzige Zufluchtsstätte, wo sie mit einiger Sicherheit weilen konnten. Hier
bringen sie ohne Schutz, ohne Bedeckung die kalte nasse Oktobernacht (richtig
5./6.November.) zu und sehen bei anbrechendem Morgen, zum Glück ohne von ihnen gesehen
zu werden, feindliche Marodeurs. Ein treuer Diener, Karl Hiemann, verschafft ihnen einen
Leiterwagen, der sie nach Badow, dem befreundeten Doeringschen Gute, bringt; von da
stehlen sie sich weiter nach Holstein und setzen ihren Weg nach Kopenhagen fort."
Am 25. November kamen sie dort an und blieben hier den Winter über beim Bruder Joachim im
Stadtpalais und im Sommer draußen in Bernstorff. Wenige Wochen nach ihrer Ankunft wurde
die Familie in tiefe Trauer gestürzt: Joachims Frau, Sophie geb. v. Blücher, starb hier am 29.
Jan. 1807 bei der Geburt ihres dritten Kindes und hinterließ neben dem Witwer die kleinen
Töchter Henriette und Marianne im Alter von 4 und 2 Jahren und die eben