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führte zu schweren Meinungsverschiedenheiten und zu einer Spaltung im Berliner Ministerium;
ein Teil der Minister trat zurück. In dieser Lage wurde Albrecht Bernstorff das Außenministerium
angeboten. Er lehnte jedoch die nach seiner Ansicht aussichtslose Aufgabe ab, das Wirrsal zu
schlichten, in das andere die preußische Politik hineingeführt hatten. Zu dem neuen
Außenminister Manteuffel hatte Albrecht kein gutes Verhältnis. Dieser berief ihn Anfang 1851
von seinem Wiener Posten ab. Albrecht empfand die Abberufung in diesem Zeitpunkt als eine
schwere Kränkung und als ungerecht. Da er aber unverändert das Vertrauen des Königs
genoß, blieb er im Dienst.
Zunächst allerdings übernahm er keinen neuen Posten. Vielmehr vertrat er im Winter 1851/52
die Stadt Berlin in der Ersten Kammer der Ständeversammlung, nachdem die Wahlmänner ihn
mit Rücksicht auf seine verdienstvolle Verteidigung der Stellung Preußens in Wien einstimmig
gewählt hatten. Und nach dem Schluß der Ständeversammlung ernannte ihn der König,
gleichfalls unter ausdrücklicher Anerkennung seiner unter schwierigsten Verhältnissen in Wien
geleisteten Verdienste, zum Wirklichen Geheimen Rat. Der König befahl auch Albrechts
Wiederanstellung, die sich allerdings noch mehrere Monate verzögerte. Nachdem er den
Sommer über mit seiner Familie eine Reise nach England gemacht hatte, um seine
erschütterte Gesundheit wiederherzustellen, und auch, um Land und Leute kennen zu lernen,
wurde er im Herbst 1852 zum Gesandten beim König beider Sizilien in Neapel ernannt. Zuvor
aber besuchte Albrecht mit seiner Frau noch kurz Paris, wo sie gerade die Proklamation des
Prinz-Präsidenten Napoleon III. zum Kaiser und seinen feierlichen Einzug erlebten.
Neapel war nur eine Zwischenstation. Aber Albrecht und vor allem seine Frau Anna haben die
Zeit dort sehr genossen. Die Königin war eine Tochter Erzherzog Karls von Österreich, des
Feldherrn aus den Freiheitskriegen. Höhepunkt der Neapeler Zeit war der Besuch des Prinzen
Friedrich Wilhelm, des späteren Kaisers Friedrich III., den Albrecht und Anna auf seiner Reise
nach Sizilien und in die Umgebung Neapels begleiteten. Anna schreibt begeistert von Taormina
mit dem Blick auf den schneebedeckten Ätna, von der üppigen Vegetation und den
leuchtenden Farben Siziliens. Natürlich stand auf dem italienischen Reiseprogramm des
Prinzen auch ein Besuch in Pompeji, und den Tempel von Pästum sah man "in wunderbarer
Abendbeleuchtung“.
Große politische Aufgaben hatte Albrecht in Neapel nicht. Es war eine Zeit der Sammlung
neuer Kräfte für die kommende Zeit, die schon am 1. Mai 1854 begann, an welchem Tage
Albrecht ein Telegramm erhielt, welches ihm das Amt des preußischen Gesandten in London
übertrug mit der Weisung, sofort abzureisen.
In London erwartete ihn wieder eine außerordentlich schwierige Aufgabe, die sicherlich nicht
leichter war als die in Wien. England und Frankreich führten damals den Krim-Krieg gegen
Rußland. Sie wollten Rußland in seine Schranken zurück-weisen, das damals unter dem
starken Zaren Nikolaus I. eine beherrschende Rolle in den europäischen Angelegenheiten
spielen wollte und sich gewaltsam die Donaufürstentümer Moldau und Walachei angeeignet
hatte. Die beiden Westmächte forderten energisch den Anschluß Preußens und Österreichs an
ihr Kriegsbündnis gegen Rußland.