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Aber Preußen wollte neutral bleiben. König Friedrich Wilhelm IV., der Schwager des Zaren, sah
in Rußland ein Bollwerk gegen revolutionäre Bestrebungen und fühlte sich mit dem Zaren
verwandtschaftlich und in seinen monarchischen Anschau-ungen verbunden. Auch Österreich
scheute sich, an einem Bündnis gegen Rußland teilzunehmen, das ihm im Kampf gegen die
1848er Revolution tatkräftig geholfen hatte. Schließlich schloß es sich aber doch den
Westmächten an. Dadurch drohte Preußen seine Machtstellung im deutschen Bund zu
verlieren und isoliert zu werden. Im Berliner Ministerium herrschten schwankende
Anschauungen, und auch der König hielt nicht immer konsequent an seiner Linie fest. So kam
es, daß Albrechts Stellung in London immer schwieriger wurde. Er warnte dringend vor der
immer feindseliger werdenden Stimmung in England, das deutlich damit drohte, seine
kriegerischen Handlungen auch auf Preußen auszudehnen.
Am deutschfreundlichsten waren in London damals die Königin Viktoria selber, die eine
deutsche Mutter (ebenso wie der Prinzgemahl aus dem Hause Coburg) und einen deutschen
Stiefbruder, den Fürsten von Leinigen, hatte, und der Prinzgemahl Albert. Es gelang, Preußens
Neutralität aufrecht zu erhalten, bis der Krim-Krieg 1856 zu Ende ging.
Noch während der Zeit der englisch-preußischen Spannungen machte der Prinz Friedrich
Wilhelm v. Preußen eine Reise nach England. Die Königin Viktoria und die Prinzessin Augusta
v. Preußen (Gemahlin Wilhelms I.) geb. Prinzessin v. Sachsen-Weimar hatten diese Reise
verabredet, um zu prüfen, ob ihre Kinder sich gefielen. Sie taten es! Es kam zur Verlobung im
Mai 1856 und zur Heirat im Januar 1858 in London. Albrecht war als preußischer Gesandter
natürlich stark in die damit verbundenen Verhandlungen eingeschaltet.
Noch im gleichen Jahr 1858 übernahm der Prinz v. Preußen die Regentschaft für seinen Bruder
König Friedrich Wilhelm IV., der zunehmend in Geisteskrankheit verfiel. Bei dem Prinzen genoß
Albrecht Bernstorff besonderes Vertrauen; dieser bot im Juni 1858 Albrecht an, wieder als
Gesandter nach Wien zu gehen, weil er gegenüber Österreich eine selbstbewußtere und
energischere Politik betreiben wollte. Dies traute er Albrecht nach seiner früheren Haltung in
Wien und seinen jetzigen Leistungen in London am ehesten zu. Er schätzte Albrecht
besonders, weil dessen Anschauungen mit den seinigen sowohl in der inneren wie der äußeren
Politik übereinstimmten. Er kannte Albrechts konservative Gesinnung, wußte aber auch, daß
dieser die Anschauungen gewisser Kreise der äußersten Rechten (um die "Kreuz"-Zeitung)
durchaus ablehnte. Er baute darauf, daß Albrecht, der seinerzeit in Wien Preußens Interessen
mit solchem Nachdruck vertreten hatte, sich Österreich gegenüber niemals zu schwächlicher
Nachgiebigkeit verstehen würde, wenn er auch im Prinzip gegenüber dem Ausland die
Eintracht der beiden deutschen Großmächte wünschte.
Albrecht bat aber, ihn in London zu belassen, wo er sich in den vier Jahren seines dortigen
Wirkens eine angesehene und auch für Preußen besonders wichtige Stellung verschafft hatte.
So blieb er weiterhin in London. Er lehnte auch ein Jahr später die ihm angebotene Übernahme
des Außenministeriums ab, weil er mit der politischen Linie des amtierenden Ministeriums zu
wenig übereinstimmte; sie war ihm nicht fest genug. Er wollte nur