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als erster Berater des Königs von England wuchs. Der Kaiser, der ihn, wie bereits
erwähnt, 1715 in den Freiherrenstand erhob, lobte die großen Verdienste, die sich
Andreas Gottlieb "für das gemeine Wesen, auch für das kaiserliche Haus und dessen
Interessen" erworben habe. Letztlich führte aber Herzog Carl Leopold von
Mecklenburg die kaiserliche Entscheidung gegen sich dadurch selber herbei, daß er im
Jahre 1716 Katharina lwanowna, die Lieblingsnichte Zar Peters d.Gr. von Rußland
heiratete, mit dem Zar ein Bündnis schloß und ihm gestattete, jede beliebige Menge
von Truppen in das für ihn strategisch sehr wichtige Mecklenburg zu legen. Der Zar
machte auch sogleich Gebrauch davon und schickte eine ansehnliche russische
Armee unter dem Fürsten Repnin nach Mecklenburg mit allen sich daraus ergebenden
Schrecken für die Bevölkerung Mecklenburgs, insbesondere für die Ritterschaft.
Nunmehr war die mecklenburgische Frage ein europäisches Problem geworden.
Nur mit großer Mühe und allen diplomatischen Künsten, insbesondere der Höfe in
London, Paris und Wien unter maßgeblicher Beteiligung Andreas Gottliebs, gelang es,
den Zaren zum Abzug seiner Truppen aus Mecklenburg zu bewegen. Der Zar war
außer sich vor Zorn und bezeichnete Andreas Gottlieb seitdem als "boshaften und
gewissenlosen Menschen".
Jedoch ließ er 3000 russische Soldaten in Mecklenburg zurück, die formell in die
Dienste des mecklenburgischen Herzogs traten. In dieser Situation verfügte endlich der
Kaiser im Oktober 1717 die Reichsexekution gegen Carl Leopold und beauftragte den
Kurfürsten von Hannover (Celle war inzwischen an Hannover gefallen) und den Herzog
von Braunschweig-Wolfenbüttel mit der Durchführung. Damit war die
mecklenburgische Ritterschaft und mit ihr Andreas Gottlieb am Ziel der seit
Jahrzehnten verfolgten politischen Wünsche. Im Februar 1719 rückten hannoversche
Truppen in Mecklenburg ein. Fast ganz Mecklenburg-Schwerin wurde besetzt, Carl
Leopold entwich nach Danzig. Eine kaiserliche Kommission mit dem Sitz in Rostock
übernahm die Landesregierung. An ihrer Spitze stand Andreas Gottliebs Schwiegersohn,
der Landdrost v. Werpup.
Über ein halbes Jahrhundert blieben die Besatzungstruppen unter dem Vorwand noch
ausstehender Entschädigungszahlungen im Lande. Erst 1768 verließen die letzten
Hannoveraner und 1787 die letzten Preußen, die seit 1728 an der Reichsexekution
beteiligt waren, das Land. Die fast völlige Machtlosigkeit des Herzogshauses führte zu
einem der sonstigen Entwicklung im damaligen Deutschland entgegengesetzten
Anwachsen der Macht der Stände. Diese konnten durch den Landesgrundgesetzlichen
Erbvergleich von 1755 ihre Privilegien in einer Weise sichern, die jedes
Wiedererstarken der herzoglichen Macht verhindert hat, bis die Revolution von 1918
sowohl der Herrschaft der Stände wie derjenigen des Fürstenhauses ein Ende setzte.
Auf die Dauer ließ Andreas Gottliebs Machtstellung in London sich nicht halten. Die
Aufgabe, die er sich gestellt hatte, war unausführbar. "In erstaunlicher Verblendung",
schreibt Aage Friis, "meinten die hannoverschen Minister und Bernstorff vor allen, daß
die ungeheure Umwandlung in ihres Herren Stellung