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Delbrück, Schickler & Co. in Berlin abzuleisten, was ihm in der Zelt des Nationalsozialismus
nach seinem Aus-scheiden aus dem Dienst in entscheidender Weise zustatten kam.
Nach Beendigung des Praktikums begann Albrechts eigentliche Lebensarbeit. Denn im Januar
1923 wurde er als Legationssekretär an die Deutsche Botschaft in London versetzt, wo er volle
zehn Jahre, seit 1924 als Gesandtschaftsrat und seit 1931 als Botschaftsrat, blieb, bis er im
Juni 1933 nach der nationalsozialistischen Machtergreifung abberufen wurde. Botschafter war
damals der 66-jährige Friedrich Sthamer, ein langjähriger Hamburger Senator, der, nachdem er
kurz zuvor Bürger-meister von Hamburg geworden war, 1920 als erster deutscher Botschafter
nach dem Kriege nach London geschickt wurde. Albrecht zog in das schöne Botschafts-haus
der Carlton House Terrace ein, in dem genau 50 Jahre zuvor sein Großvater Albrecht als
kaiserlich deutscher Botschafter gestorben war.
Die Aufgabe der deutschen Diplomaten in London, nach dem Kriege, der die Leidenschaften
des englischen Volkes gegen Deutschland aufgehetzt hatte, wieder ein Klima der
Verständigung zu schaffen, war schwer. Die Atmosphäre in England vibrierte noch von
Deutschenhaß. Kurt v. Stutterheim, der als Journalist für das Berliner Tageblatt damals 9 Jahre
lang gleichzeitig mit Albrecht in London war, schreibt, es hätte einem Reisenden, der in der
Eisenbahn ein deutsches Buch aufschlug, geschehen können, daß sein Nachbar seinen Koffer
ergriff und in das Nachbarabteil entwich.
Als Albrecht 10 Jahre später abberufen wurde, war der Haß gewichen. und es bestand ein
Klima weitgehender Verständigung. Daß dies in erster Linie Albrecht Bernstorff zu verdanken
war, wurde von der englischen Presse einstimmig bestätigt. Der Premierminister Mac Donald
lud Albrecht zu einer Abschiedsveranstaltung in die Downing Street ein, in der er ihm den Dank
der königlichen Regierung für die bemerkenswerten Dienste aussprach, die er der
deutsch-englischen Freundschaft (!) geleistet hatte. Das war eine Ehre, die noch keinem
Botschaftsrat widerfahren war. Der Evening Standard schrieb damals: Graf Bernstorff kann mit
Befriedigung auf eine Reihe von Leistungen zurückblicken, wie sie in den Annalen der
Diplomatie selten sind. Nur jene hinter den Kulissen wußten, wie viel von Sthamers Erfolgen
auf den Takt und die Geschicklichkeit Bernstorffs zurückzuführen war. Und der Observer
schrieb: "Kein Diplomat unserer Tage hat mehr geleistet als Graf Bernstorff, und keiner war
beliebt wie er. Zehn Jahre lang hat er in Carlton House Terrace prachtvolle Arbeit geleistet,
indem er in England Freunde Deutschlands und in Deutschland Freunde Englands gewann. Er
kennt sein England, liebt es und hat doch niemals den Deutschen verleugnet. Er ist immer ein
echter Deutscher gewesen, was zum Teil die Hochachtung erklärt, die ihm gezollt wurde". Auch
die deutsche Presse hielt trotz der nationalsozialistischen Herrschaft mit Anerkennung nicht
zurück. Die Vossische Zeitung schrieb am 28. Juni 1933:
„Er hat mehr als eine andere deutsche Persönlichkeit dazu getan, daß die englisch-deutschen Be-
ziehungen sich ständig verbesserten.“ Seine ersten Erfolge erzielte Albrecht bei der Presse. Bis dahin
hatten die Reporter fürauswärtige Angelegenheiten ihre Informationen beim Foreign Office und bei der
französischenBotschaft