von Bernstorff

Die Familiengeschichte von den Anfängen bis 1982

 

Über Jahrhunderte wurde in Büchern über die Familiengeschichte geschrieben, z.B. Anfang des 20. Jahrhunderts vom dänischen Historiker Aage Friis (* 16.8.1870 - † 5.10.1949) in "Die Bernstorffs". Ein bedeutendes, aus der Familie heraus für die Familie geschaffenes, Schriftstück ist die Familiengeschichte von Werner Graf v. Bernstorff (Oberlandesgerichtsrat, * 5.7.1905 - † 8.11.1987), die er im Jahr 1982 fertigstellen und veröffentlichen konnte. Dieses Buch ist aufgrund seiner Struktur, Les- und Nutzbarkeit und der inhaltlichen Vollständigkeit besonders wichtig, wenn man die Geschichte der Familie verstehen möchte. Allerdings weist der Autor selbst daraufhin, dass es ihm nicht möglich war, fundiert wissenschaftlich zu arbeiten und regt in seinem Nachwort vom 5. Juli 1982 ausdrücklich zur Ergänzung der Inhalte an.

 

Aus diesem Grund ist der gesamte Buchtext hier, inklusive einer Suchfunktion, veröffentlicht. Eine e-Book Version wird in absehbarer Zeit folgen.

 

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sich Werner im Erstellungsprozeß aus verschiedenen Gründen, vor allem im Hinblick auf eine Fertigstellung bevor gesundheitliche Einschränkungen diese verhindern könnten, auf die männliche Stammfolge konzentriert hat. Aus diesem Grunde - und nur aus diesem Grunde - ist die Würdigung vieler Frauen der Familie entweder zu knapp ausgefallen, oder fand nicht statt. Die Familie wird nun, peu-à-peu, diese Lücke schließen und die vielen bedeutenden Frauen in der Familie an anderer Stelle auf dieser Internetpräsenz ins Licht rücken.

 

Werner schließt sein Nachwort mit den Worten "Möchte das eine oder andere Mitglied der Familie sich [durch das Buch] angeregt fühlen, über seinen Zweig ergänzende Aufzeichnungen für Kinder und Kindeskinder zu Papier zu bringen." 

 

 

Inhaltsverzeichnis
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Seite 356

Als die Nationalsozialisten am 30. Jan. 1933 die Macht ergriffen hatten, blieb Albrecht nur noch kurz im Amt. Im Jan. 1933 war noch das Jubiläum seines zehnjährigen Wirkens in England gefeiert worden, wobei seine englischen Freunde ihm eine Standuhr schenkten mit einer Inschrift, die besagte, daß diese Uhr immer gehen und er immer bleiben möge. Im Juni 1933 wurde er aus London abberufen. Man bot ihm, vielleicht um ihn in seinem Interesse aus der politischen Schußlinie zu ziehen, das Generalkonsulat in Kalkutta an. Albrecht lehnte aber ab und bat um seinen Abschied. Im Nov. 1933 wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Damit war mit 43 Jahren seine diplomatische Laufbahn zu Ende. Er opferte sie seinen moralischen Grundsätzen. Unter normalen Umständen hätte er bei seinen Fähigkeiten Aussicht gehabt, wie seine bedeutenden Vorfahren Botschafter oder gar Außenminister zu werden.

Albrecht nahm nun seinen Wohnsitz in Berlin. Denn ein Leben nur als Gutsherr auf Stintenburg hätte ihn nicht ausgefüllt und befriedigt. Er trat in Berlin in das jüdische Bankhaus A.E. Wassermann ein, dessen persönlich haftender Gesellschafter er 1937 wurde. Er tat dies bewußt, um im Rahmen seiner Kräfte Juden helfen zu können, Deutschland zu verlassen und wenigstens einen Teil ihres Vermögens zu retten. Sein Mitarbeiter Joachim v. Heinz bringt ein bewegendes Zeugnis von Albrechts moralischer Sensibilität, indem er schreibt, daß er, als die Tür hinter dem letzten Träger des Firmennamens der Bank ins Schloß gefallen war, Albrecht zusammengebrochen und schluchzend an seinem Schreibtisch gefunden habe. - Albrecht hat auch am Morgen nach der "Kristallnacht" vom 8. Nov. 1939 den bekannten Historiker Ernst Kantorowicz zu sich geholt und länger als eine Woche bei sich in der Hildebrandtstraße versteckt, bis die Gefahr vorüber war, Kantorowicz einen Paß erhalten, hatte und Albrecht ihn zur Abreise nach England an die Bahn begleiten konnte.

In Kürze hatte sich Albrecht in Berlin wieder einen großen Freundeskreis geschaffen. Er kannte den französischen Botschafter François-Poncet gut und war mit dem dänischen Gesandten v. Steensen-Leth und seiner Frau befreundet. Zu seinen Freunden gehörte auch Frau Solf, die Frau des von ihm verehrten Botschafters. Albrecht führte jetzt zwar ein freies Leben, nicht nur in Berlin und Stintenburg, wohin er oft Freunde einlud, sondern er konnte auch ungehindert ins Ausland reisen, so nach England oder in die Schweiz, die Heimat seiner Mutter. Aber er wurde jetzt doch ein anderer. Stutterheim schreibt: "Es war interessant zu sehen, wie das Schicksal hier einen Mann formte. Von Natur aus tolerant und konziliant, pflegte er Konflikte durch ein Witzwort abzuschwächen. Niemals hätte er das Heroische beachtet, bis er es selbst verkörperte. Er wurde stark, als es galt, Schwächeren zu helfen, und mutig, um sich mit frevelhaftem Übermut ausein-anderzusetzen. Mit der Gefahr, die wuchs, wuchs auch der Mann, den das Leid nicht zerbrach, sondern stärkte, bis eines Tages aus dem liebenswürdigen jungen Herrn des Londoner Parketts ein großer Charakter geworden war."

Ursprünglich war Albrecht ein Meister im Erzählen von Naziwitzen gewesen. Auch in späteren Jahren nahm er kein Blatt vor den Mund, wenn es galt, Hitler und sein System zu geißeln. Carl Burckhardt schreibt, er habe derartig frei über die politische

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