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Toten und Vermißten die Trauer zunächst stumm. Aber in England, das soeben das verhaßte
nationaIsozialistische Deutschland unter großen Blutopfern niedergeworfen hatte, fand schon
wenige Monate nach dem Waffenstillstand Albrechts Freund, der berühmte Publizist und
Schriftsteller Harold Nicolson den Mut, im "Spectator“ einen Nachruf auf den Deutschen
Albrecht Bernstorff zu veröffentlichen. Er war auch der erste, der die Anregung zu einem Buch
über Albrecht gab, zu dem seine Freunde ihre Erinnerungen an Albrecht und Würdigungen
seiner Persönlichkeit beitrugen. Dieses Buch "Albrecht Bernstorff zum Gedächtnis" wurde 1952
durch Albrechts Freundin Gräfin Reventlow mit Hilfe von Eric Warburg herausgegeben und
umfaßte die Beiträge von 16 Freunden.
So schreibt Carl Burckhardt in seiner Würdigung Albrechts, daß ihm die Leiden-schaft des
Mittelstandes, der Nationalismus, ebenso fremd gewesen sei wie das Ethos einer bestimmten
alten preussischen Welt, welches sich im Dienst der Staatsraison auswirkte. "Die Freiheit von
diesen Voraussetzungen des letzten und des jetzigen Jahrhunderts ermöglichte die Allseitigkeit
seines Urteils.”
Ernst Kantorowicz schildert Albrecht als Gastgeber, vor allem in Stintenburg. Er schreibt:
"Albrecht Bernstorff war in der Eindeutigkeit seines Wesens nicht schillernd. Aber wenige
Menschen waren facettenreicher als er, der Diplomat, Aristokrat und Bankier, der in jungen
Jahren an der noch kaiserlichen Wiener Botschaft den Hauch von Hofmannsthals Dichtung und
den des literarischen Wien verspürte. Die Zahl seiner Freunde wirklicher Freunde - in allen
Ländern West- Europas war ganz ungewöhnlich groß. Was er brauchte, was er suchte, war
gewiß manches und vieles, war aber vor allem das 'gute Gespräch', das anregend mit anderen
Schwingungsgleichheit herstellt und erwärmend menschliche Wärme erzeugt. Ob jenes
Gemeinsame sich im Historisch-Politischen einstellte, ob im Literarischen, in der Natur oder im
Anekdotischen über Menschen und Dinge, war an sich gleichgültig. Bernstorff war
wärmebedürftig; und in menschlichen Be-ziehungen war er, der sonst Nachsichtige, durch jede
Art Frostigkeit leicht verärgert. Denn er selbst breitete eben jene Wärme aus, die sich denen,
die bei ihm und mit ihm waren, rasch mitteilte. Hierin lag seine große und verständnisvolle
Kunst als Wirt und Gastfreund.“ .... "Der vollkommene Wirt war er in Stintenburg. Hier, in dem
bezaubernden Familienschloß zwischen den Seen, von dessen Terrasse und Fenstern man
nach Süden hin über die weiche abfallende Rasenfläche aufs Wasser hinunter schaute; hier,
auf der Halbinsel, im Wald, im Dorf, war er wirklich 'zu Hause'. Hier vereinte er für die
Wochenenden ein paar Freunde, drei, vier oder fünf, die nach dem Essen, für das vorbildlich
seine Schwester gesorgt hatte, um den großen Kamin saßen, die Weingläser zur Seite, von
den Büchern der Bibliothek umgeben und in leichtere oder ernstere Gespräche verwickelt, die
meist erst lange nach Mitternacht endeten."
In Stintenburg hat auch Marion Dönhoff Albrecht erlebt. Aus ihrer Schilderung ergibt sich so
recht der Zauber Stintenburgs und Albrechts Verwurzelung in seiner Heimat. Sie schreibt von
dem "zauberhaften Besitz mitten im Schalsee". "Eine lange Allee mit holprigem
Kopfsteinpflaster - eine Auffahrt, so wie sie zu