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unzähligen Landsitzen führt,
von Kurland angefangen über Ostpreußen, Pommern,
Mecklenburg bis weit nach Frankreich hinein, mündete schließlich vor einem großen, einfachen
Land-haus. Der blaue See im Hintergrund und am Horizont die bewaldeten Konturen des
jenseitigen Ufers, grüner Rasen, ein Park, der allmählich in Wald überging, und irgendwo
nahebei die Geräusche des Gutshofs. Jahrhunderte hindurch war das die Welt, in der die
großen unabhängigen Persönlichkeiten heranwuchsen, die dann später in Krieg und Frieden
die Geschicke ihres Landes lenkten. So war es in England, in Deutschland, in der habsbur-
gischen Monarchie, im zaristischen Rußland, in Polen gewesen.“ - Von einem Pfingstsonntag in
Stintenburg schreibt sie: "Ich begleitete den Hausherrn zur Kirche des nächsten Dorfes, deren
Patron seine Familie seit Jahrhunderten war. Wir gingen durch den von der Morgensonne
beschienenen feierlichen Wald und blieben immer wieder stehen: Hier, diese riesigen Lärchen
habe ich gepflanzt, bevor ich als junger Attaché nach Wien ging und dort die letzte Phase des
kaiserlichen Wien erlebte; und hier haben wir einige Jahre später, bevor ich nach London an
die Botschaft kam, Versuche mit japanischem Samen gemacht und da, wo jetzt das
Stangenholz steht, da habe ich meinen ersten Hirsch geschossen, als dort noch Hochwald war.
Mit unendlicher Liebe hingen seine Augen an den wechselnden Partien, dem lichten Grün der
Buchen und Lärchen und dem geheimnisvollen Dunkel der Kiefern und Fichten."
Stintenburg scheint auch mit der Grund gewesen zu sein, warum Albrecht sich nicht
entschließen konnte, Deutschland zu verlassen und in England oder der Schweiz Schutz zu
suchen und dort eine neue Existenz zu begründen, was ihm in Anbetracht seiner Beziehungen
leicht möglich gewesen wäre. Als Ernst Kantorowicz 1939 in London mit ihm das Für und Wider
einer Übersiedelung nach London besprach, sagte Albrecht, zunächst unschlüssig, nach
einiger Überlegung: "Und Stintenburg?“ So blieb er in Deutschland. Denn Stintenburg gab ihm,
wie Albrechts Kusine Dagmar Bernstorff in ihrer Ansprache bei der Einweihung der noch zu
erwähnenden Gedenktafel für Albrecht im Ratzeburger Dom sagte, "einen Rahmen, in dem
zwei seiner Eigenschaften zur Verwirklichung gelangten: Sein Talent zum Gespräch und seine
Fähigkeit zur Freundschaft. Die Lieblichkeit und für Norddeutschland ungewöhnliche Grazie der
Landschaft und das wohnliche Haus boten den Hintergrund für eine hohe Kultur der Gastlich-
keit, die bei aller Eleganz des Stils immer mühelos und gänzlich ohne Zermoniell blieb. Den
Gästen aus vielen Ländern und verschiedenen Lebenssphären wurde eine Vielfalt von
Unterhaltung und Zerstreuung geboten, ohne sie jemals in ein 'Programm' zu zwingen. Hier
holte Albrecht die Weit zu sich hinein und hielt gleichzeitig für viele Deutsche ein Tor zur Welt
offen."
16 Jahre nach Albrechts Tod fand in der neuen deutschen Botschaft in London eine Feier statt,
in der dreier Männer gedacht wurde, die einmal dort Dienst getan hatten und "lieber den Tod
gewählt hatten als einer Lehre zu folgen, die des deutschen Volkes unwürdig war", und in der
eine Plakette für Albrecht Bernstorff enthüllt wurde. (Die anderen beiden waren Herbert Mumm
und Eduard Brücklmeier). Harold Nicolson sagte in seiner Gedenkrede bei dieser Feier: "Es
erfüllt uns mit Befrie-digung, daß der deutsche diplomatische Dienst und die Rhodes-Stiftung
Männer hervorbrachte, die ihr Leben opferten, um die Ehre ihres