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80. Johann Heinrich . 1862-1939 ( Bild ) .
(Literatur: Graf Johann Heinrich Bernstorff, Deutschland und Amerika. Erinnerungen
aus dem fünfjährigen Kriege, Berlin 1920; Graf Johann Heinrich Bernstorff, Erinner-ungen und
Briefe. Zürich 1936; Reinhard R. Doerries, Washington – Berlin 1908/ 1917. Die Tätigkeit des
Botschafters Johann Heinrich Graf von Bernstorff in Wash-ington, Düsseldorf 1975)
Johann Heinrich (Jonny) Andreas Hermann Albrecht war der jüngste von Albrechts
d.Ä. Söhnen und neben seinen Brüdern, dem Wirkl GehORegRat Andreas und dem
WirklGehORegRat und RegPräs. Percy der bedeutendste. Er wurde am 14. Nov. 1862 in
London geboren. Sein 18 Jahre älterer Bruder Andreas gehörte zu seinen Taufpaten.
Die ersten 10 Jahre seines Lebens verbrachte er in London. Englisch wurde seine zweite
Muttersprache, und England prägte ihn auch insofern, als er immer eine Verständigungspolitik
gegenüber England und dem Westen als entscheidende Grundlage deutscher Politik ansah.
Mit 10 Jahren verlor er seinen Vater, und die Familie siedelte dann nach Stintenburg über, war
aber im Winter viel in Berlin. Johann Heinrich wurde nach Zwischenaufenthalten in Sulza
(Thür.) und am Vitzthumschen Gymnasium in Dresden auf die Lauenburgische
Gelehrtenschule in Ratzeburg gegeben, die schon sein Vater Albrecht besucht hatte. Hier
machte er sein Abitur. Bei sonst normalen schulischen Leistungen erreichte er als einziger in
der Prima in Geschichte ein "sehr gut“. Nur in Mathematik versagte er völlig, dagegen konnte er
annähernd 30 Oden des Horaz auswendig aufsagen. Eine ausgesprochene Neigung hatte er
nur für Geschichte, die er in deutscher, englischer und französischer Sprache verschlang, mit
besonderer Vorliebe für Treitschke und Gustav Freytag.
Eigentlich wollte er nach dem Abitur gleich in die diplomatische Laufbahn gehen. Es bestand
damals aber eine Mißstimmung Bismarcks gegen die Familie, weil Johann Heinrichs ältester
Bruder Andreas als Landrat in Ratzeburg sich als Reichstagskandidat hatte aufstellen lassen,
aber durchgefallen war und dann Bismarcks Sohn Herbert vorgeschlagen hatte, der aber
gleichfalls von einem Fortschrittler geschlagen wurde. Für Bismarck war ein Landrat unmöglich,
der solche politischen Mißerfolge herbeiführte, zumal wenn sie direkt die Familie Bismarck
betrafen. Die Mißstimmung Bismarcks führte dazu, daß ein anderer Bruder wohl Percy - für den
auswärtigen Dienst abgelehnt wurde. Es hatte daher keinen Sinn, daß Johann Heinrich sich
bewarb. So wurde er Soldat, obwohl er sich selber darüber klar war, daß er nicht zum Soldaten
taugte. Aber damals kam für einen Sohn aus großem Haus nicht viel anderes in Frage, als der
Beruf des Diplomaten oder Soldaten, oder allenfalls noch des Verwaltungsbeamten. So wurde
Johann Heinrich Soldat, ein in unserer Familie sonst wenig üblicher Beruf. Unter den im 16. und
19. Jahrhundert geborenen zahlreichen Bernstorffs finden sich nur 2 Generäle, einer aus der
nichtgräflichen Linie in Neustrelitz und einer aus der gräflichen Linie in Österreich.