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Auf diesem Wege kam er nun doch in den diplomatischen Dienst. In Konstantinopel freundete
er sich mit dem 2. Sekretär an der Botschaft, dem späteren Botschafter Prinzen Lichnowsky,
an. Gegen Ende 1890 wurde er ins Auswärtige Amt nach Berlin berufen, um sich auf das
diplomatische Examen vorzubereiten, das er im Februar 1892 mit gut bestand. Anschließend
schickte man ihn für 2 Jahre als Legations-sekretär nach Belgrad. Er genoß die Landschaft des
Balkans, bezeichnet aber Belgrad in damaliger Zeit als Dorf. Der Gewinn dieser Zeit war eine
lebenslange Freundschaft mit dem damaligen österreichisch-ungarischen Geschäftsträger
Markgrafen Pallavicini, den Johann Heinrich als den klügsten Diplomaten Öster-reich-Ungarns
bezeichnet, dem er in seiner langen Laufbahn begegnete.
1894 kam er als Legationssekretär nach Dresden. Hier spielte Politik keine Rolle, aber Dresden
war das Ideal eines kleinen Hofes und hatte ein ausgezeichnetes Theater. Ende 1895 wurde
Johann Heinrich als 2. Sekretär nach St. Petersburg ge-schickt. Hier sollte er persönliche
Streitigkeiten des Botschafters Fürsten Hadolin mit der Gemahlin des Onkels des russischen
Kaisers Nikolaus II., der Großfürstin Wladimir, geborenen Herzogin Maria zu Mecklenburg,
Schwester des Großherzogs Friedrich-Franz III., ausgleichen. Das gelang ihm aber nicht, und
er fand zum Für-sten Radolin kein Verhältnis, so daß Letzterer um Johann Heinrichs
Abberufung bat.
Er ging nun im Oktober 1897 als Legationssekretär an die Preussische Gesandt-schaft nach
München, wo er 5 Jahre blieb. Diese Jahre unter dem Gesandten Grafen Monts waren zwar
nicht Jahre der großen Politik, aber Johann Heinrich empfand diesen Mangel nicht wegen
seines engen geistigen Zusammenlebens mit seinem Chef, den er als einen der
kenntnisreichsten Menschen bezeichnet, denen er begegnet ist. Gegen 11 Uhr pflegte Graf
Monts aus seiner Privatwohnung herunterzukommen mit den Worten: "Sie haben doch nichts
zu tun, gehen wir also zusammen spazieren!" "Dann folgte", schreibt Johann Heinrich, "ein fast
zwei-stündiger Spaziergang kreuz und quer durch München, je nach Wetter und Jahres-zeit.
Dabei wurde alles besprochen, was des Menschen Geist in seinem hohen Streben erfaßt,
namentlich Politik, Geschichte, Wirtschaft, Kunst, Literatur und Philosophie. Ich habe nie so viel
gelernt wie auf diesen Spaziergängen und durch Nachlesen im Verfolg derselben." - So trugen
diese Jahre in vieler Hinsicht dazu bei, den jungen Diplomaten auch geistig zu formen.
Besuche von Konzerten, politischen Kabaretts und Dichterlesungen lösten einander ab.
München stand damals auf seinem Höhepunkt als Kunststadt. Lenbach, Kaulbach und Stuck
wirkten damals dort. Johann Heinrich und seine Frau besuchten auch regelmäßig die Konzerte
von Felix Weingartner und reisten immer nach Bayreuth, so oft dort Aufführungen stattfanden.
Cosima Wagner führte dort noch selber die Regie, und Johann Heinrich, begeisterter
Wagnerianer, war auch in ihrem Hause. Seine Vor-liebe für die Kunst des Jugendstils stammt
aus seiner Münchener Zeit. Und seine Frau begann sich hier für den Buddhismus zu
interessieren; ihre Sammlung asiatischer Kunst begann sie in dieser Zeit. Johann Heinrich
lernte in München auch den Nationalökonomen Lujo Brentano kennen, den er oft besuchte,
und seine späteren wirtschaftlichen Ansichten verraten den Einfluß Lujo Brentanos.