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Die 6 Jahre in Washington vor Ausbruch des Krieges bezeichnet Johann Heinrich als die
glücklichsten seines Lebens. Der Posten sagte ihm in jeder Weise zu, und Land und Leute
gefielen ihm außerordentlich. Er genoß die grenzenlose Gast-freundschaft der Amerikaner.
Zu dem Nachfolger Bülows, dem Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg hatte Johann Heinrich
kein näheres Verhältnis. Er bezeichnet ihn zwar als reinen und edlen Mann, beklagt aber
seinen Mangel an Standfestigkeit und sein Hin- und Herschwanken. Die Erfahrungen mit ihm
brachten ihn sogar auf den Gedanken, so bald wie möglich den diplomatischen Dienst
aufzugeben; denn diesen könne man nur ausüben, wenn zwischen dem Chef und dem
Botschafter ein Vertrauensverhältnis besteht. Er hat aber bis zum für ihn bitteren Ende, dem
Eintritt der USA in den Krieg, als Botschafter in Washington ausgeharrt.
Als er dann nach Deutschland zurückkehrte, wurde vom Reichstag seine Kandidatur als
Reichskanzler betrieben, und er wurde auch von Bethmann-Hollweg als sein Nachfolger dem
Kaiser vorgeschlagen. Der Kaiser war zwar grundsätzlich bereit, wollte ihn aber nur ernennen,
wenn Hindenburg und Ludendorff zustimmten, was diese nicht taten. Johann Heinrich hatte
schon mit Sozialdemokraten über deren Eintritt in die Regierung verhandelt; Scheidemann und
andere hatten ihn mehrmals besucht. An Johann Heinrichs Stelle wurde dann auf Vorschlag
der Militärs Michaelis Reichskanzler und Kühlmann Staatssekretär des Äußeren. Johann
Heinrich wurde Botschafter in Konstantinopel, ein Posten, den er nur annahm, weil Michaelis
und Kühlmann ihm beide erklärten, daß sie Frieden schließen wollten, und er die wenig
erfreuliche Aufgabe haben sollte, die Türken auf diesen Weg zu führen.
Er war sich allerdings bewußt, daß Deutschland keinen guten Frieden mehr bekommen könne,
wie er es 6 Monate vorher noch für möglich gehalten hatte. Damals hatte er die Wahl gesehen
zwischen einem Verständigungsfrieden durch amerikanische Vermittlung und dem
uneingeschränkten U-Boot-Krieg mit dem daraus folgendem Kriegseintritt der USA, der uns die
Niederlage bringen mußte. Die Militärs setzten die letztere Alternative durch. Johann Heinrich
beurteilt die getroffene Entscheidung rein politisch und lehnt eine moralische Verurteilung ab.
Er hält insbesondere den damaligen Feindmächten vor, daß, wer die sittliche Ver-werflichkeit
der englischen Hungerblockade nicht anerkenne, das Recht verliere, sich als Richter über die
Frage der moralischen Berechtigung des unbeschränkten U-Boot-Krieges aufzuwerfen. Johann
Heinrich sieht aber eine historische Schuld, indem im Kampf der widerstreitenden nationalen
Egoismen in entscheidenden Augenblicken falsche Mittel angewendet worden seien, die
unvermeidlich zur Niederlage führen mußten.
Johann Heinrich sieht das Verhängnis darin, daß, so wie zu allen Zeiten geniale Feldherren
große Unternehmungen mit zu geringen Mitteln begannen und deshalb nach glänzenden
Siegen zum Schluß unterlagen, so auch die deutsche Führung das Glück durch eine Offensive
habe zwingen wollen, zu welcher die Kräfte nicht mehr reichten. Ein Krieg könne auf die Dauer
nur politisch gewonnen werden. An der mangelnden Erkenntnis dieser weltgeschichtlichen
Wahrheit seien wir zugrunde gegangen. Das Aus-