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später erhielt er vom Reichskanzler die Weisung, mit tunlichster Beschleunigung nach Berlin zu
kommen. Es war damals nicht mehr einfach, einen zuverlässigen Reiseweg von Konstantinopel
nach Deutschland zu finden. Johann Heinrich fuhr mit einem Torpedoboot über das Schwarze
Meer nach Constanza und von dort mit der Bahn über Rumänien nach Berlin. Durch die
Rückberufung wurde er davor bewahrt, bald darauf in Konstantinopel in die Hände der
Engländer zu fallen.
Der Reichskanzler Prinz Max von Baden wollte Johann Heinrich als Berater für die Fragen
eines Waffenstillstands und Friedensschlusses auf der Grundlage der Wilsonschen Punkte in
seiner Nähe haben. Johann Heinrich sah die vordringliche und zunächst einzige Aufgabe darin,
die Monarchie zu retten, weil es keine andere Möglichkeit gab, dem deutschen Volk eine
geordnete und geeignete Vertretung dem Feind gegenüber zu geben; eine Revolution dagegen
mußte Deutschland in den Stunden der größten Gefahr lahmlegen. Diese Notwendigkeit
besprach er vertrauensvoll bei seinen täglichen Spaziergängen mit dem Reichskanzler. Er
mußte dessen Frage, ob Wilsons Note dahin zu verstehen sei, daß die Abdankung des Kaisers
nötig sei, bejahen, aber Prinz Max weigerte sich als badischer Thronfolger und deutscher Fürst,
dem Kaiser das zu sagen.
Johann Heinrich hat damals im Auftrag des Prinzen Max auch eine lange Unter-redung mit
Scheidernann gehabt, der ebenso wie Johann Heinrich die Revolution verhindern wollte,
allerdings hauptsächlich deshalb, weil seine Partei, die Sozialdemokraten, noch nicht
regierungsfähig sei und erst zu regieren lernen müsse. Jedenfalls wünschte Scheidemann nach
Johann Heinrichs Urteil damals aufrichtig, in einer konstitutionellen Monarchie zu leben,
forderte aber die Abdank-ung des Kaisers zu Gunsten seines Enkels, des Prinzen Wilhelm, als
conditio sine qua non für die Erhaltung der Monarchie, die er dann aber mehr oder weniger
garantierte. Johann Heinrich meint, mit dieser Ansicht Scheidemanns habe damals fast jeder in
Berlin übereingestimmt, der die innen- und außenpolitischen Verhält-nisse kannte. Er glaubte,
daß, wenn der Kaiser rechtzeitig abgedankt hätte, die Monarchie in der Person des Enkels
erhalten geblieben wäre. Auch Johann Heinrichs Versuch, mit anderen einschließlich des
neuen Reichskanzlers Friedrich Ebert, den Prinzen Max von Baden zu überreden, als
Reichsverweser die Ordnung wiederherzustellen, hatte keinen Erfolg; Prinz Max konnte sich
nicht entschließen, solches Amt zu übernehmen. So hatte Deutschland keine gefestigte
Vertretung gegenüber den Feindmächten, und Johann Heinrich schreibt: "Man kann sich nicht
ausdenken, welchen Unterschied es für Deutschland und die Welt bedeutet haben würde,
wenn unsere Feinde in Versailles nicht ohne Widerstand hätten jeden politischen Unsinn
beschließen können, der ihnen einfiel."
Johann Heinrich blieb über die Revolution hinaus zunächst noch im Dienst. Er sollte die
Friedensverhandlungen vorbereiten, was aber gar nicht möglich war, weil keine Verhandlungen
stattfanden. Johann Heinrich neigte an sich mit seinem Vetter Brockdorff-Rantzau, dem
Reichsaußenminister, zur Ablehnung des Friedensdiktats, aber er war sich darüber klar, daß in
diesem Fall bessere Bedingungen nicht zu erlangen waren, und gab rückschauend zu, daß
nichts anderes übrig geblieben sei, als der