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Gewalt zu weichen und den Vertrag im Bewußtsein seiner Unerfüllbarkeit zu unterschreiben. In
dieser Zeit war Johann Heinrich, während Brockdorff-Rantzau schon in Versailles war, bei Ebert
in Weimar, und es entwickelte sich zwischen ihm und Ebert ein Vertrauensverhältnis, an das er
mit Freuden zurückdachte. Als Brock-dorff-Rantzau zurücktrat, fragte Ebert ihn, ob er das
Außenministerium übernehmen wolle, aber er lehnte ab, weil er inzwischen der demokratischen
Partei beigetreten war und für sie kandidieren wollte und daraus Konflikte befürchtete. Er sagte
Ebert, daß er außerdem Nachteile für Deutschland befürchte, weil das Ausland sehr gehässig
gegen ihn polemisiert habe. Deshalb glaube er, daß er nur im Reichstag oder im Völkerbund
noch nützliche Arbeit leisten könne, wo er frei und ungebunden für neue Ideen eintreten könne,
die er für aufbauend halte. So nahm er seinen Abschied aus dem Dienst.
Er war nun frei und konnte sein Leben neu einrichten. Zunächst machte er seinen bisherigen
Sommer- und Urlaubssitz in Starnberg zum ständigen Wohnsitz für sich und seine Frau. Bis
zum Ende des Nationalversammlung und zur Reichstagswahl hatte er noch einige Zeit und
nutzte sie dafür, sein erstes Buch, seine 1920 erschienenen Erinnerungen aus dem 1.
Weltkrieg "Deutschland und Amerika" zu schreiben. Dann begann die Zeit der Vorbereitung auf
die Reichstagskandidatur. Seine ersten Versammlungsreden waren ihm selbst eine Qual und,
wie er meint, auch für seine Zuhörer, weil er immer mit seinem Manuskript in Konflikt geraten
sei. Bei einer Versammlung vor mehreren tausend Menschen im großen Zirkus Blumenfeld in
Magdeburg geschah es ihm dann, daß die Beleuchtung zu schlecht war, um das Manuskript zu
lesen. So mußte er zum ersten Mal ganz frei sprechen. Es ging, und seitdem hat er nie mehr
ein Manuskript vor sich gehabt.
Johann Heinrich vertrat als Mitglied der demokratischen Partei liberale politische Ansichten. Er
bezog sich auf das Wort des Freiherrn vom Stein, daß man die Zahl der freien Männer in
Preußen vermehren müsse, und hielt es für entscheidend für die Lebensfähigkeit der Republik,
die Zahl der Liberalen zu vermehren. Denn die demokratische Regierungsform könne nicht
ohne liberale Erziehung bestehen. So gründete er in Berlin mit einigen Freunden den
"Demokratischen Klub", dessen erster Präsident er war. Und auf dem Parteitag der
demokratischen Partei vor der ersten Reichstagswahl hielt er die programmatische Rede über
die Außenpolitik, in der er als die nächste Aufgabe deutscher Außenpolitik den Eintritt in den
Völkerbund bezeichnete.
Für den Reichstag kandidierte er zunächst im Wahlkreis Düsseldorf-West. In seinen natürlich in
besonderem Maße der Außenpolitik gewidmeten Wahlreden - er hat nicht weniger als 48
gehalten - betonte er stets die Wichtigkeit einer Aussöhnung mit den Nachbarn im Westen und
stellte vor Augen, wieviel die Kultur und die Weltwirtschaft gewinnen würden, wenn der
deutsch-französische Gegensatz sich in eine gemeinsame Arbeit für die ideellen und
materiellen Güter der Menschheit verwandeln würde. So nahm er schon damals vorweg, was
erst Adenauer ein Menschenalter später verwirklichen konnte. Aber er sah auch, daß damals
wegen der veralteten imperialistischen Politik Clémenceaus und der Furcht Frankreichs vor der
Rache Deutschlands - eine Folge des