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Verwirklichung einer sittlichen Idee zu betrachten ist. Johann Heinrich sah die Leiden der Welt
nach dem Kriege als so groß an, daß sie nur auf internationalem Wege und durch
internationale Mittel geheilt werden könnten.
Er hielt es daher für die Aufgabe der deutschen auswärtigen Politik, den Kampf für den
Völkerbundsgedanken da aufzunehmen., wo Wilson ihn seinen Händen habe entgleiten lassen.
Er forderte den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund, wodurch Deutschland die
Gleichberechtigung mit allen Nationen erhalten werde. Der Völkerbund müsse eine
internationale Weltwirtschaft organisieren, in die Deutschland eingefügt werde, weil nur so die
durch Versailles gefährdete Lebens-fähigkeit Deutschlands gesichert werden könne. Das
Bekenntnis zur Völkerbunds-idee gebe Deutschland das Recht zu fordern, daß das
Selbstbestimmungsrecht ebenso für Deutschland wie für alle anderen Nationen gelten müsse.
Man glaubt, daß dieser Artikel Johann Heinrichs nicht nach dem 1., sondern nach dem 2.
Weltkrieg geschrieben worden sei, wenn er fortfährt: "Auf Grund dieser Idee müssen wir auch
von den widerwilligen unter unseren bisherigen Feinden die Anerkennung der historischen
Tatsache abringen, daß das deutsche Volk, soweit die deutsche Zunge klingt, eine nationale
Einheit ist, die nur zeitweilig im Lauf der Geschichte durch dynastische Politik gelockert wurde."
Wenn auch die Deutsche Liga für Völkerbund zunächst keinen großen Einfluß hatte, so
gewann sie doch dadurch an Bedeutung, daß 1921 der Weltverband der Völker-bundsligen die
deutsche Liga als Mitglied aufnahm. Von nun an widmete sich Johann Heinrich in erster Linie
den Arbeiten der Deutschen Liga und des Welt-verbandes. 10 Jahre war er Präsident der Liga
und zeitweilig auch Vizepräsident und 1929 Präsident des Weltverbandes.
Johann Heinrich hat sich, jahrelang für den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund eingesetzt.
Als der Eintritt endlich erfolgt und Deutschland 1926 aufgenommen war, hat er 6 Jahre lang
den deutschen Delegationen zu den Völkerbundsver-sammlungen angehört, drei Jahre lang
unter Stresemann, ein Jahr, als dieser schon krank war , unter dem Reichskanzler Müller und
zwei Jahre unter dem Außenminister Curtius. Über diese 6 Jahre sagt er: "Wenn ich auf die 6
Jahre zurückblicke, die ich dank meinen guten Beziehungen zu Stresemann im Völker-bund
arbeiten durfte, so ist es hauptsächlich seine Persönlichkeit, die meine Erinnerungen verschönt.
In Genf hat sich Stresemann von einem - allerdings bedeutenden - Reichstagspolitiker zu
einem großen Staatsmann entwickelt."
Die bedeutendste Aufgabe, die Johann Heinrich in diesen 6 Jahren wahrzunehmen hatte, war
die Vertretung Deutschlands in der vorbereitenden Abrüstungskonferenz des Völkerbundes in
Genf. Es war zugleich die letzte große politische Aufgabe, die der nun 64-Jährige übernahm. Er
war sich zwar, wie er es gegenüber Hindenburg bekannte, darüber klar, daß die Verwirklichung
der Abrüstung zu seinen Lebzeiten nicht möglich sein werde, aber sein Idealismus in dieser
Frage war tief gegründet. Er schreibt in seinem zweiten Erinnerungsbuch 1935 in Anknüpfung
an Rathenaus Wort, wonach "nicht Rüstungen, sondern moralische, intellektuelle und
wirtschaft-liche Kräfte die ausschlaggebenden Mittel