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“Schon in seiner ersten Ministerzeit in Celle wird hervorgehoben, daß seine
umfassende Kenntnis von Personen und Verhältnissen durch die anhaltendste
Tätigkeit im Arbeitszimmer und Ratssaal erworben wurde; man bewundert seine stets
wache Sorge für seines Fürsten Interessen und schildert seine Politik und Verwaltung
als überlegen ohne jegliche Kleinlichkeit. Viele Jahre Später, als der großeuropäische
Kampf ihn umbrauste, sagte man Ähnliches von ihm und betonte, daß er einer der
größten Staatsmänner seiner Zeit und für Deutschland eine Zierde sei.”
"Seine Person wirkte nicht durch äußere Mittel, sondern irnponierte durch einfache
Kraft. Er war hoch und mager, immer fein, aber einfach gekleidet und erinnerte in
seinem grauen Anzug mit der ungepuderten braunen Perrücke auf dem kräftigen
Haupte, mit den strengen, männlichen Zügen an einen ernsthaften, gestrengen
Schulmeister. Sein Leben bestand in einem innigen, ununterbrochenen Aufgehen in
seiner Tätigkeit. Frühmorgens saß er am Arbeitstisch, wenig Zeit verwandte er auf
seine Mahlzeiten, ging spät zu Bett, nahm so wenig wie möglich an Festen teil und gab
selbst am liebsten gar keine. Man sagte von ihm, daß er allzu wenig Hofmann sei und
nicht Rücksicht genug auf ‘die sekundären Gründe’ nehme, die so oft bei Fürsten
entscheidend sind; damit war gegeben, daß er sich von den Intrigen des Hoflebens
fernhielt und seinen Einfluß auf den Respekt baute, den er seinem Herrn und seinen
Kollegen durch gründliche Sachkenntnis, schnellen und klaren Gedankengang,
knappe, aber überzeugende Beredsamkeit und die kurzen und treffenden, oft scharfen
Antworten abnötigte, die ihm immer zu Gebote standen. Er war eine kräftige, groß
angelegte Persönlichkeit; die Beweglichkeit seines Geistes zeigte sich in seiner Politik,
aber nicht Kollegen und Untergebenen gegenüber; die Schärfen und Ecken seines
Wesens konnten Gegnern gegenüber rücksichtslosen Ausdruck finden. Er überlegte
gründlich seine Rede und seine Handlungen und suchte in alle mit wirkenden
Momente und durchkreuzenden Berechnungen einzudringen. Hatte er sich aber einmal
eine Meinung gebildet, so hielt er daran fest, und sein Selbstbewußtsein war stark. Die
Engländer klagten darüber, daß er sich für unfehlbar ansehe und sich erlaube, jeden
leiten zu wollen. Bei Hofe in London spielte er die Rolle eines Mentors, allen Rat und
Belehrung erteilend, und behandelte jede Sache, als ob sie ihn persönlich angehe."
Was sein Auftreten in England betrifft, so müssen wir allerdings bedenken, daß er im
66. Lebensjahr stand, als er englischen Boden betrat, und daß er 71 Jahre alt war, als
er England und zugleich auch den hannoverschen Staatsdienst verließ.
"Den Mittelpunkt in Bernstorffs Leben bildete seine politische Wirksamkeit; da setzte er
seine Gaben ein, da flammte sein Ehrgeiz. Doch war er durchaus keine engherzige,
einseitige Natur; seine Stärke waren Vielseitigkeit und Energie, durch die er auf allen
Gebieten das Beste leisten und sich über das Gewöhnliche erheben wollte. Er soll ein
Mann mit literarischen Interessen gewesen sein, auf verschiedenen Gebieten belesen,
gelehrt, und eine Stütze der Wissenschaft; die mächtige Bibliothek, die er auf Gartow
anlegte, und seine kostbaren Münz- und Kartensammlungen beweisen das.”
"Aber auch in praktischen Verhältnissen stand er hoch über seinen norddeutschen
Standesgenossen. Er war ein Bahnbrecher auf dem Gebiet der Landwirtschaft. Er wies
neue Wege in Bezug auf Anbau und Verwaltung seiner Güter an und wirkte in allen
Dingen mit vorausschauendem Scharfblick.”