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Lehrer des Erbprinzen Frederik, den sie für einen tüchtigen und warmherzigen Mann
mit besonderen pädagogischen Gaben hielten. Als Sneedorff 1764 starb, kam Hans
Bernstorff an den Mittagstisch des deutschen Hofpredigers J.A. Cramer. Er verbrachte
die Zeit mit Cramers Kindern, und im Sommer wohnte er mit seinem Hauslehrer oft auf
Cramers Gut Sandholm bei Själsö, wenn er nicht in Bernstorff war. Mehrere Jahre
hatte er einen Magister Clemens als Lehrer, den er nicht mochte, weil dieser ihn öfters
schlug. Als Clemens im Herbst 1768 Kopenhagen verließ, bemühten sich die
Bernstorffs sehr, einen guten Nachfolger zu finden. Sie glaubten, daß dies nicht allzu
schwer sein könne, denn da „le jeune homme seinen Studien fast zu sehr attachiert
war, brauchte er nur einen Erzieher mit guter Moral und einiger Lebenserfahrung“. Die
Wahl fiel auf ein Mitglied des deutschen literarischen Zirkels in Kopenhagen, Gottlob
Schönborn, einen Freund Cramers und Klopstocks. Er war schon mehrere Jahre in
Dänemark, war inzwischen in den dänischen diplomatischen Dienst eingetreten und
erhielt später durch nähere Beziehungen zur Familie Stolberg eine gewisse
Bedeutung. Auch Schönborn versuchte einmal, den inzwischen fünfzehnjährigen
Jungen zu schlagen, aber dieser widersetzte sich solcher Behandlung so energisch,
daß Schönborn verlegen wurde und es von diesem Augenblick an nie wieder
versuchte. Er sorgte nur wenig dafür, daß der junge Mann etwas Positives lernte,
sondern "gab sich mit ihm allerlei Betrachtungen hin und leitete ihn an, aus
Gesprächen nützliche Kenntnisse zu ziehen". Während er heranwuchs, erhielt der
junge Hans einen lebendigen Eindruck von dem Kreis begabter Männer und Frauen,
die im Bernstorffschen Hause verkehrten. Klopstocks Gedichte begeisterten ihn. Er
fing selber an, Oden und Tragödien zu schreiben, die der Dichter sich herabließ,
durchzulesen. Als die Bernstorffs Dänemark verließen, behielten sie den jungen Vetter
bei sich und sorgten nach Kräften für seine Zukunft." (Aage Friis).
Das war 1770, als Struensee in Dänemark die Macht ergriff und die Bernstorffs
weichen mußten. 1773 bezog Hans die Universität Göttingen und wurde am 6. Oktober
1773 immatrikuliert. Er studierte Jura, aber seine Anlagen und Neigungen gingen in
andere Richtung: er wurde Künstler, und zwar zunächst Dichter, bald aber wandte er
sich ganz der Malerei zu. 1775 erschien von dem 21-Jährigen das Lustspiel "Die
verlorene Unschuld". („im Verlag bey Viktorinus Bossiegel" in Göttingen). Über seine
weitere Entwicklung und seinen Lebensweg wissen wir sonst nicht viel. Es sind
eigentlich nur einige Briefe, die er in den Jahren 1778/79 an Anton Matth. Sprickmann
geschrieben hat, mit dem er in Wetzlar und Regensburg zusammen und befreundet
war, und die in der Universitätsbibliothek in Münster liegen. Diese Briefe geben ein Bild
von seiner Persönlichkeit und sind so interessant, daß sie in dieser Darstellung nicht
fehlen dürfen. Sie zeigen, daß Hans ein hochbegabter und gebildeter junger Mann war.
Wir finden den 24-jährigen Juristen 1778 in Wetzlar - vielleicht war das dortige
Reichskammergericht der Anlaß dafür. Von dort geht er nach Regensburg, der Stadt
des ständigen Reichstages des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation, wo in
Anbetracht der zahlreichen deutschen und ausländischen Gesandtschaften ein
äußerst reges gesellschaftliches Leben herrschte und wo Hans auch Zugang zum Hof
des reichen Fürsten von Thurn und Taxis fand. Ein Jahr später ist er in Wien. Auch
hier findet er Zutritt zu den höchsten Hofkreisen. Der große Minister Kaunitz protegiert
ihn, Hans sitzt oft an seiner Tafel und spielt abends zuweilen Billard mit ihm. Kaunitz
hat ihm auch seinen Beifall zu der von ihm gemalten „Gallerie der Grazien"
ausgesprochen. Sogar dem Kaiser Joseph II. ist Hans vorgestellt worden.