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Ich will Ihnen die vier Stücke sagen, wie man zur Vereinigung mit der höchsten
Vollkommenheit gelangt
1.) gänzliches Hingeben. Da die Vollkommenheit dreifach ist a.) Kraft im Herkules, b.)
Schönheit der Venus, c.) beides möglichst vereinigt im Apoll: so muß ich mich selbiger
mit allem, was ich habe und bin, ergeben. 0 du höchste Vollkomenheit, ich schäme
mich aller unkräftigen und unschönen Worte, Geberden und Handlungen! Mich reut
jede Minute meines Lebens, die ich Dir nicht hingeopfert u.s.w.
2.) tägliches Prüfen. Kerl, muß ich sagen, wie weit bist Du gekommen! Ist Deine Hand
fester geworden? Sind Deine Conturs vollkommen, wie Raphaels? Deine Muskeln
hebend und gewaltig, wie Rubens? u.s.w.
3.) Ausharren. Wisse, die höchste Vollkommenheit ist nicht in einer Stunde erreicht.
Sondern sie theilt sich unvermerkt immer stärker, immer ganzer mit.
4.) Streben ohne Unterlaß. 0 höchste Vollkomenheit, wie weit bin ich noch von Dir! 0
komm, komm! 0 sieh die heiße, brennende Gier nach Dir, nur nach Dir! 0 komm, komm
und erfülle mich ganz! Daß ich ganz in Dir sey und Du in mir! Durch solche Stücke wird
die Hand mächtig gestärkt und die Vollkomenheit offenbart sich mehr und mehr.
Im Anfang Februars offenbartest Du mir, o Du Labsal meiner Seele! die natürliche
Fleischfarbe, ja Du lehrtest mich, mit schlechtem grauen und rothen Bleistitt und Kalk
von der Wand gekrazt, die menschlichen Gliedmaaßen mit allen Muskeln und Adern
darstellen, daß das Leben herausstrotzt.
Im Jänner lehrtest Du mich, daß es unwürdig sey, nur eine Hand Deinem Dienst zu
widmen und seitdem ich nun mit zwei Palletten und zwei Pinseln mahle, ja meist den
Pinsel in den Mund nahm, und mit meinem Munde den Mund schuf, den hernach mein
Mund küßte, o Wonne, Wonne, und alle Himmelsseeligkeit über mir!
Aber halt! ich will nichts mehr erzählen, dies sind nur die geringsten Offenbarungen.
Ich will mich nicht überheben.
0 Freund! was offenbart die Vollkommenheit ihrem Knecht für eine glänzende Zukunft!
Wahrlich eine prächtige Theaterdekoration! Es ist mir eingegeben, eine eigne Schule
zu errichten und Herkules wird mir alle auch politische Schwierigkeiten überwinden
helfen. Um Ihnen etwas daraus zu erzählen, will ich Ihnen den Gruß sagen, den die
Scholaren haben werden.
Der allgemeine Gruß ist der: Die höchste Kraft, Schönheit und Vollkomenheit mir Dir!
Der besondre, nachdem sich die Scholaren entweder der Kraft (Rubens), der
Vollkommenheit (Raphael), der Schönheit (im Colorit Titian und Correggio, im Contur
noch niemand) widmen werden, ist bei den letzteren folgender: Die hochgelobte Donna
grüsset Dich! Bei denen, die sich des schönen Colorits befleissen: Dich grüsset die
Titianische Venus, die sich der Vollkomenheit oder dem Apoll weihen: Die höchste
Vollkomenheit überschatte Dich! Bei den Kraftmalern: es lebe Herkules! Noch muß ich
sagen, alle Scholaren müssen sich erst dem Herkules weihen, ehe sie sich
vollkommen bestimmen. Weil ich noch (mein eigner) Schüler bin, sehen Sie aus dem
Briefe: es lebe Herkules! Was mein Gruß künftig seyn wird, ist noch nicht Zeit zu
offenbaren. Leben Sie wohl! Das Rathen ist erlaubt!
Schreiben Sie mir, worauf Sie rathen? Adieu."
Der letzte Brief aus Regensburg lautet:
"Regenspurg 8 t.März 79.
Die Kraft des Herkules, die Schönheit der Venus und die Vollkommenheit des Apollo
mit Ihnen!